DIE KAPELLE, DIE STATT AUF DEM GELLÉRT-BERG IN ARIZONA STEHT

DIE KAPELLE, DIE STATT AUF DEM GELLÉRT-BERG IN ARIZONA STEHT
Foto: Julianna Bika

Wenn der Tourist von Phoenix, Arizona, an die Südseite des Grand Canyon fährt, kommt er an der Stadt Sedona vorbei. Auf der linken Seite der Straße erhebt sich über die roten Felsen ein Betonkreuz – die Kapelle des Heiligen Kreuzes, ein modernes Bauwerk von Erhabenheit und Schlichtheit, das Bewunderung erzwingt.

Die Idee zum Bau einer Wolkenkratzer-Kathedrale entstand im Kopf von Marguerite Brunswig Staude (1900-1988). Sie war mit ihren Eltern durch fast ganz Europa gereist, studierte in der Schweiz und wurde dann Bildhauerin in Amerika. Sie war Schülerin an der berühmten Kunstschule Taliesin in Arizona, die von Frank Lloyd Wright geleitet wurde. In New York studierte sie Kunstgeschichte und Zeichnen am Metropolitan Museum, als sie 1932 das Empire State Building erblickte. Die Struktur des damals höchsten Stahlbetongebäudes der Welt inspirierte die Schwangere zum Bau einer Wolkenkratzer-Kathedrale. Aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, erschien in der Mitte der Konstruktion ein Kreuz. Ihre Vision war eine Kathedrale auf einer kreuzförmigen Stahlbetonkonstruktion, waren doch auf ihren europäischen Reisen Kathedralen stets die höchsten Gebäude gewesen.

Marguerite plante den Bau ursprünglich in Budapest, auf einem Budaer Hügel, vermutlich dem Gellért-Berg. Sie übergab ihre Skizzen Lloyd Wright, Frank Lloyd Wrights Sohn, der für sie ein Modell der erträumten Kathedrale baute. Marguerites Vater war ein berühmter Pharmaunternehmer, dessen Firma bis zum heutigen Tag zu den obersten 30 der Fortune 500 gehört. Für sie war es also ein Leichtes, ihren Traum zu verwirklichen. Doch der Krieg verhinderte das Projekt, sodass es erst später entstand, und zwar nicht in Buda, sondern in Arizona. Es ist nicht überliefert, warum sie an Buda gedacht hatte. Verwandte in Ungarn gab es nicht, denn die gräfliche Familie Brunswig (in 40 verschiedenen Schreibweisen) von Martonvásár war im männlichen Zweig schon Ende des 19. Jahrhunderts ausgestorben, und Maria auf weiblicher Seite hatte das Land verlassen. Marguerites Vater, Lucien Napoleon Brunswig (1854-1943), entstammte einer französischen Familie aus dem Elsass und war mit seinen Eltern 1871 während des Preußischen Krieges aus Frankreich geflohen. Wahrscheinlich hatte die besondere geografische Lage Budapests die Fantasie der Künstlerin beflügelt.

Marguerite Brunswig Staudes Traum wurde nach dem Krieg, zwischen 1954 und 1956, zwischen den roten Felsen von Sedona, Arizona, im Oak Creek Canyon des Coconino-Nationalparks Realität. Sie ist etwas kleiner als ursprünglich geplant (sie bietet Platz für 150 Personen), aber der Anblick ist wegen der Umgebung und der Konstruktion hinreißend.

Besucher gelangen vom Parkplatz über eine geschwungene Rampe aus textiertem Beton zur Kapelle, die sich auf einem 460 Meter hohen roten Felsen erhebt. Hauptmerkmal der Kapelle ist ein fast 28 Meter hohes Eisenkreuz an der Südwestwand, das sowohl ästhetischen als auch strukturellen Zwecken dient. Im Inneren des Gebäudes trägt das Kreuz sowohl den Altar als auch den Korpus. Die Wände und das Kreuz sind aus ein Fuß (0,3 m) dickem Stahlbeton gefertigt. Innen und außen wurden die Wände mit strukturierten Betonzuschlagstoffen besprüht. Die beiden Seiten des Gebäudes bestehen aus rauchgrauen Glaswänden, die einen märchenhaften Blick auf die roten Felsenberge freigeben. Der Fußboden ist aus Beton, und der Paletteneffekt in Verbindung mit den einfachen, kantigen Formen der Kapelle, die in den Hang der roten Sandsteinriesen eingebaut ist, vermittelt einen Eindruck von Großartigkeit und Kraft.

1957 erhielt die Kapelle den Großen Preis des American Institute of Architects, 2007 wählten sie die Bewohner von Arizona zu einem der sieben von Menschenhand geschaffenen Wunder des US-Bundesstaates. 2011 wurde sie in das Nationale Register Historischer Plätze aufgenommen.

Julianna Bika