Ein Biedermeierdichter mit naturwissenschaftlich-technologischem Hintergrund

Ein Biedermeierdichter mit naturwissenschaftlich-technologischem  Hintergrund

 Otto von Hingenau

    Der Montanist, Bergrechtler und Schrifststeller Otto Bernhard Gottlieb Freiherr von Hingenau (1818-1872) verkörpert nicht nur aufgrund seiner vielen Interessen, sondern auch mit seinen Werken den kulturellen und wirtschaftlich-technologischen Aufschwung, den Österreich in der Biedermeierzeit erlebte. Wiewohl einer angesehenen, wohlhabenden Familie entstammend, war sein Leben vom bürgerlichen Ethos, einer Mischung aus idealistischen Moralvorstellungen und realistischen Bildungs- und Leistungsbestrebungen geprägt: Früh verwaist, kam er als Dreizehnjähriger nach Wien, wo er 1840 an der Juridik der Universität Wien promovierte, daneben aber bereits einige poetische Versuche unter dem Pseudonym G. Neuhain (fälschlich auch Ch. Neuhain, G. Neuham) in einigen Wiener Blättern veröffentlichte. Dann wandte er sich aufgrund seines von Jugend an großen naturwissenschaftlichen Interesses dem Studium der Montanwissenschaften an der Bergakademie in Schemnitz im damaligen Oberungarn zu, von wo aus er mehrere Reisen in das südliche und östliche Ungarn unternahm, deren Eindrücke er in seinem 1842 fertiggestellten Roman Der Bergmann (Faksimile-Nachdruck 2010) einfließen ließ. Um diese Zeit trat er in den montanistischen Staatsdienst, wurde im böhmischen Kuttenberg Bergpraktikant, dann in Leoben dem Bergamt und Berggericht zugeteilt, wo ihn der dortige Bergrichter, der Montanist, Jurist und spätere Reformator des Berggesetzes Karl von Scheuchenstuel (1792-1867) zur wissenschaftlichen Befassung mit dem Bergrecht inspirierte. Ab 1846 war er ein Jahr in Wien im berggerichtlichen Departement der Hofkammer und veröffentlichte einige nationalökonomische Artikel, in Brünn verfasste er Anfang 1848 eine Abhandlung über die Landeskunde Österreichs und trat in anregenden Kontakt mit dem Juristen, Kameralwissenschaftler, Politiker und Pionier der Statistik Friedrich Wilhelm Freiherr von Reden (1804-1857), der ihn zu einigen statistisch-nationalökonomischen Arbeiten anregte. Als Vertreter einer konstitutionellen Monarchie war er Ersatzmann für das Frankfurter Parlament, blieb aber in Brünn und gab hier kurz das Politische Wochenblatt heraus, beteiligte sich am in Olmütz gegründeten Oesterreichischen Correspondenten sowie an dem in Wien erscheinenden Lloyd. 1849 wurde er Mitglied der „Mährisch-Schlesischen Ackerbaugesellschaft“, an deren Reorganisation er sich mit etlichen Schriften beteiligte. 1850 nach Wien berufen, war er am ersten Entwurf des 1854 in Kraft tretenden und im Grunde bis heute noch geltenden Berggesetzes beteiligt. Noch im selben Jahr wurde er als Berghauptmann mit der Neuorganisation der Bergbehörden in Mähren und Schlesien betraut, regte die Gründung des nach dem deutschen Mineralogen Abraham Gottlob Werner (1749-1817) benannten „Wernervereins zur geologischen Durchforschung von Mähren und Schlesien“ an und erhielt an der Universität Wien eine Professur für Bergrecht, die er bis zu seinem Tod innehielt. In der Urlaubszeit unternahm er ausgedehnte Reisen, in denen er – auch zu wissenschaftlichen Zwecken – die Monarchie nach allen Richtungen erkundete, aber auch Italien und etliche kleinere Metropolen Deutschlands bereiste, wissenschaftliche Kontakte knüpfte und Versammlungen der deutschen Naturforscher besuchte. 1853 gründete er die Oesterreichische Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen, die zum Zentralorgan des österreichischen Bergwesens wurde. Mit Egbert Belcredi (1816-1894), einem der einflussreichsten konservativen Politiker Mährens im Nachmärz, stand er in vertrauensvollem Verhältnis. Ab 1866 reorganisierte er die Příbramer Silberbergwerke bei Prag, wurde Ministerialrat, Referent für Berg- und Hüttenwesen, hielt bergrechtliche und nationalökonomische Vorträge und publizierte auf bergrechtlichem, geologischem, staatswissenschaftlichem, aber auch belletristischem Gebiet.

   Sein einziger Roman Der Bergmann, der sechs Jahre vor Ungarns vaterländischer Erhebung und zwei Jahre vor seiner Vermählung mit Walburga, der Tochter des Berg-Oberinspektors von Ungarn, Johann Nepomuk Graf Serényi von Kis Sérenyi (1776-1854), erschien, spiegelt all seine vielseitigen Interessen und naturwissenschaftlichen Erfahrungen, aber auch seine biedermeierlich-idealistischen Freundschafts-, Liebes- und Familienvorstellungen wider, denn am Ende erringt sein bürgerlicher Held, der tatkräftige Bergmann Friedrich Rohrbach, die Hand der von ihm so geliebten ungarischen Gutsbesitzertochter Etelka Vörösváry. Im Vorwort erklärt Hingenau, all jene, damals im Umlauf befindlichen falschen Darstellungen Ungarns durch realistisch nachgezeichnete Bilder aus dem inneren und äußeren Leben dieses aufstrebenden Landes entkräften zu wollen. Neben Charakterschilderungen sollen daher Skizzen des ungarischen Gesellschaftslebens, der gebildeten Kreise, des Landlebens, aber auch des bergmännisch-industriellen Treibens geboten werden.

    Auf einer Fahrt über den Traunsee treffen Herr von Vörösváry, ein gemütlicher Gutsbesitzer aus der Marmaros, und seine Tochter Etelka erstmals auf den jungen Bergmann Friedrich Rohrbach und dessen historisch, medizinisch und antiquarisch gebildeten Jugendfreund Pater Erwin, der die beiden Reisenden nach Hallstatt und Admont begleitet. Friedrich jedoch tritt eine Stelle beim Grubenherrn Gottlieb Reinhardt in Leutschau in der Zips an und lernt dessen Töchter sowie deren Freundin, die Pfarrerstochter Bertha Claudius aus Bobersdorf kennen, mit der ihn bald nicht nur die Musik, sondern auch eine tiefe Seelenfreundschaft verbindet. Sein Verbesserungsentwurf für Reinhardts Grube gefällt dem Grubenherrn und soll am Gewerkentag vorgestellt werden – bei diesem Erzählstrang kommt eindeutig Hingenaus großes bergrechtliches Wissen zum Einsatz. Bis zur endgültigen Zusage unternimmt Friedrich eine Reise in die Bukowina, trifft unterwegs auf Etelka und ihren Vater und wird auf deren Schloss Három Fölgyes im Komitat Unghvár eingeladen. Hier lernt er den hochbegabten und vielseitigen Victor von Szentimre, Etelkas von Englands Modernisierungen schwärmenden Vetter kennen, mit dem sich Etelka auf väterlichen Wunsch verheiraten soll, was aber beiden Betroffenen nicht behagt, weswegen sie beschließen, mittels Hinhaltetaktik dagegenzuhalten. Da der in Etelka verliebte, aber vermögenslose, nur bürgerliche und zudem schüchterne Friedrich Etelka und Victor für ein Paar hält, reist er ab und findet in Bobersdorf bei Bertha verständnisvollen Trost, weswegen beiden eine Liebesbeziehung angedichtet wird. Nach erfolgreich erledigten Modernisierungsarbeiten in Leutschau sieht Friedrich in einer nahegelegenen, durch schlechte Führung stillgelegten Grube die Chance, sich gemeinsam mit einigen Teilhabern etwas Eigenes aufbauen zu können. Als aber die Erfolge aufgrund von Sabotage, betrügerischen Machenschaften und Verleumdungen ausbleiben, geben seine Teilhaber auf und er ist gezwungen, deren Anteile zu übernehmen, was ihm nur mit Victors Finanzhilfe gelingt. Als schließlich die Grube ergiebig wird, beschuldigen ihn seine ehemaligen Teilhaber des Betrugs, aber Friedrich kann letztlich alle Vorwürfe entkräften und die wahren Schuldigen aufdecken. Friedrich und Victor teilen sich nun den Besitz der Grube.

     Als Friedrich mit den Reinhards, deren Töchtern, Bertha und den Freunden des Hauses im nahegelegenen Schmöks auf Badekur weilt, kommt es zum Skandal: Bertha wird von einem Rittmeister erkannt und übel beleumundet. Friedrich fordert den Beleidiger zum Duell und beide werden verwundet. Nach seiner Genesung meidet er tief enttäuscht Berthas Nähe. Unterdessen wird Victors kleine Hinhalte-Intrige für Herrn von Vörösváry auch für Etelka immer belastender: Friedrich scheint für sie an Bertha verloren, Friedrich hingegen glaubt Etelka glücklich mit Victor verlobt und verlässt Ungarn in Richtung seiner Heimat im oberösterreichischen Ennstal. Hier gelingt es ihm schließlich mit Hilfe seines geistlichen Freundes Erwin, das Erbe seines reichen Oheims, das ihm seinerzeit von seinem Vetter unterschlagen worden war, anzutreten. Victor dagegen hat sich in Bertha verliebt, die aber seinen Heiratsantrag ablehnt, denn sie trägt an einem großen Liebesschmerz. Die Aufklärung darüber liefert Pater Erwin: In jungen Jahren hochbegabt, aber leidenschaftlich, impulsiv und unstet – das Erbe seiner polnischen Mutter – findet er zunächst nicht im geistlichen Stand, sondern nach vielem Schwanken in der Medizin sein Ziel und verlobt sich mit Bertha, die damals bei einer ungarischen Adelsfamilie Gesellschafterin der Tochter war. Bei Ausbruch des polnischen Aufstands (1830) gegen Russland verlässt er heimlich das in den Karpathen gelegene Schloss des ungarischen Grafen und schließt sich den Aufständischen an. Nach Niederschlagung des Aufstands flieht er nach Ungarn, findet hier aber nur noch ein vom Choleraaufstand (1831) verwüstetes Land vor: Der Graf ist tot, sein Schloss verbrannt, von Bertha fehlt jede Spur. Weitere Nachforschungen bleiben ihm als gesuchtem Revolutionär verwehrt. Einzige Zuflucht bietet ihm in der Heimat Stift Admont, in das er, da ihm nun jede andere Karriere verschlossen ist, schließlich auch eintritt. Die letzten Rätsel löst am Ende Bertha selbst: Bedrängt von den Nachstellungen des Grafensohns, eines Offiziers auf Urlaub, erlebte sie zur Zeit der Cholera und im Zuge des (ostslowakischen) Bauernaufstandes die Ermordung des Grafen, die Flucht der Grafenfamilie in Dienerkleidung, den Brand des Schlosses und zuletzt auch den Tod ihres Schützlings, der Grafentochter. Ohne Lebenszeichen von ihrem Verlobten fühlte sie sich als dessen Witwe. Um weiteren Nachstellungen des Offiziers zu entgehen, nimmt sie den Mädchennamen ihrer Mutter an und findet Zuflucht bei ihrem Onkel, dem Pfarrer von Bobersdorf, der sie wie ein eigenes Kind bei sich aufnimmt. Nach endgültiger Auflösung sämtlicher Irrtümer muss schließlich auch Herr von Vörösváry einsehen, dass nicht Victor, sondern Friedrich der richtige Heiratskandidat für Etelka ist. Beide heiraten und werden glücklich, Victor jedoch beschließt, sich in Hinkunft nur noch dem Wohlergehen seines Vaterlandes widmen zu wollen.

Margarete Wagner