Die Anfänge der deutschsprachigen Petőfi-Rezeption im Kaiserstaat Österreich

Die Anfänge der deutschsprachigen Petőfi-Rezeption im Kaiserstaat Österreich

    Biedermeier und Vormärz waren in Österreich generell von romantischer Ungarnbegeisterung geprägt, besonders was die von österreichischen und ungarndeutschen Literaten bevorzugte Stoff- und Motivwahl betraf, aber erst ab 1848 begann man sich auch mit der ungarischsprachigen Literatur selbst zu befassen. Zwischen 1845 und 1860, also grob im ersten Dezennium der Herrschaft von Kaiser Franz Joseph, aber natürlich auch später, war die deutschsprachige Petőfi-Rezeption besonders vielen ungarndeutschen Intellektuellen ein Herzensanliegen.

  Wie man an den zahlreichen Übersetzungen in Ungarns deutschsprachigen Unterhaltungsblättern sehen kann, wollten sie damit in erster Linie die eigene, ungarndeutsche Leserschaft ansprechen, indirekt aber auch natürlich auch die deutschsprachigen Leser in der gesamten Monarchie. Überwiegend viele von ihnen waren jüdischstämmige Literaten, die – selbst zwischen zwei oder mehreren Kulturen stehend – zu Kulturvermittlern zwischen den deutsch- und ungarischsprachigen Bildungsschichten der Monarchie wurden.

   Die meisten standen den Ideen von 1848 aufgeschlossen gegenüber, daher brachte die Niederschlagung der Revolution für viele einen Bruch in der Biographie mit sich. Etliche von ihnen wurden steckbrieflich gesucht und mussten im Ausland um Exil ansuchen, wobei sie als Asylanten oft prekären Lebensumständen ausgesetzt waren. Viele hielten sich mit Übersetzungen, Reiseberichten und Reportagen aus dem Ausland über Wasser, die sie in – ihnen wohlgesonnenen – Blättern publizierten. Manche von ihnen wurden früher, manche erst relativ spät rehabilitiert. Da viele von ihnen heute sowohl in Österreich als auch in Ungarn vergessen sind, wäre es angebracht, zum 170. Todesjahr des großen Nationaldichters nicht nur Petőfis, sondern auch der Vermittler seiner Werke und ihres bedeutsamen Kulturbeitrags zur Völkerverständigung zu gedenken.

    Hauptmovens war für sie nicht nur ihre Begeisterung über seine Dichtungen und ihre romantischen Vorstellungen über sein Leben und seine Persönlichkeit, sondern – damit verbunden – auch ihre Liebe zur ungarischen Volkskultur und ungarischen Sprache. Besonders aber enthusiasmierte die Generation der Freiheitskämpfer die ungarische Nationalbewegung und ihr Freiheitskampf. Auch wenn die Übersetzertätigkeit dieser Vermittler in erster Linie für ein Lesepublikum innerhalb der Monarchie gedacht war, so verbreitete sich – dank ihrer Leistung – Petőfis Ruhm sehr rasch über den gesamtdeutschen Raum, und zwar – auch aufgrund des größeren deutschen Verlagsangebots – hauptsächlich bei eher links orientierten Verlagen, was für den interessierten und kritisch eingestellten österreichischen Leser oft ein zusätzlicher Anreiz zur Rezeption war, da das österreichische Verlagsbuchwesen für den Buchdruck nicht nur rechtlich, sondern auch durch die Zensur stark behindert wurde.

    Zunächst erschienen meist Übertragungen von Einzelgedichten als Füllsel in den damals beliebten Almanachen und Unterhaltungsblättern, erst danach folgten ganze Gedichtsammlungen in Buchform, vielfach in allzeit griffbereiten, hochwertig ausgestatteten Miniaturausgaben, denn die Leserschaft in der Biedermeier- und Vormärzzeit schätzte das Kleine und Gediegene, besonders aber in den poetisch komplexen Formen der Lyrik. Ab 1850 setzten dann die Übersetzungen von Petőfis patriotischen epischen Werken ein.

    Der erste Petőfi-Übersetzer und sehr erfolgreiche, jüdischstämmige Kulturvermittler war – noch zu Petőfis Lebzeiten – der aus Pressburg stammende Jurist Adolf/ph Dux (1822-1881), den es später nach Budapest verschlug. Bereits 1845 hatte er unter dem Titel Magyarische Weisen 3 lyrisch-atmosphärische Ungarn-Bilder für die Beilage von Ludwig August Frankls Wiener Sonntagsblatt übersetzt, über die sich Petőfi selbst sehr angetan äußerte; im Jahr darauf erschien dann – wohl aufgrund der freundlichen Aufnahme erneut in Wien – ein Bändchen von 55 von Dux übersetzten Ausgewählten Gedichten.

    Gleichfalls noch zu Petőfis Lebzeiten und auf das Volkslied fokussiert erschien 1848 bei dem linksdemokratischen Verleger Arnold Ruge in Leipzig das erste Heft der Sammlung Ungarische Volkslieder, übersetzt von dem aus Oberungarn stammenden, revolutionär gesinnten Journalisten, Herausgeber und vormärzlichen Schriftsteller Karl August von Terzky bzw. Tersztyánsky von Nádas (1814-1870), der unter dem Pseudonym Anton Vilney hier auch 11 Lieder Petőfis präsentierte. Nach Niederwerfung der Revolution wurde er als Herausgeber der revolutionären Wiener Gassen-Zeitung interniert, jahrelang steckbrieflich gesucht und – nach kurzzeitiger journalistischer Tätigkeit – erneut verhaftet. Er starb in völliger Verarmung.

    1848 begann der „anthologische Siegeszug“ Petőfis, der sich beinahe bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte, und zwar fast parallel mit der Aufnahme der ungarischen Literatur in die Weltliteratur. Kurz vor Petőfis Tod erschien – neben Liedern auch anderer ungarischer Lyriker – eine Sammlung von 170, Heinrich Heine gewidmeten Petőfi-Gedichten, übertragen von dem aus Wien stammenden, jüdischstämmigen Journalisten, Kritiker, Vielschreiber und Reiseschriftsteller Karl Maria Benkert (1824-1882), der sich in einer Anzahl in- und ausländischer Städte in liberal gesinnten Künstlerkreisen bewegte und 1847 den ungarischen Namen Kertbeny annahm. Durch die Drucklegung dieser von ungarischem Lokalkolorit geprägten Sammlung bei der Literarischen Anstalt in Frankfurt am Main erhöhte sich Petőfis Verbreitungsradius im gesamtdeutschsprachigen Raum, was sowohl Kertbenys Erfolg diente als auch eine große, europaweite Sympathiewelle für die Freiheitsbewegung der Ungarn im Jahre 1848 auslöste. Kertbeny wurde zum Hauptvermittler nicht nur Petőfis, sondern auch anderer literarischer Größen Ungarns. In weiterer Folge schuf er eine große Anzahl von Nachdichtungen, die zu Zwischenstufen für englische und französische Übersetzungen wurden, ab 1850 wandte er sich dann Petőfis Versepen und Romanschaffen zu. Auf ihn geht auch die bis heute verwendete, aber umstrittene Wortschöpfung „Homosexualität“ zurück.

    Zu dem nun einsetzenden „anthologischen Siegeszug“ Petőfis trugen auch zwei ungarische, in Pest erschienene Anthologien bei, und zwar die 1858 von dem Pester Rechtsanwalt und Professor für Kunst József von Mac/c/hik (1805-1890) stammende Anthologie Gisela, eine Auswahl von Gedichten der hervorragendsten magyarischen Dichter und die von dem Statthaltereisekretär und Lyriker Graf István Fidél Pongrácz (1828-1879) 1861 herausgegebene Sammlung Gedichte aus Ungarn, patriotisch-lyrischen Inhalts.

    Petőfis berühmtes Nationallied vom 15. März 1848 erschien nur Stunden später in der Dux’schen Übersetzung auch in Deutsch, und bald darauf kursierten in den deutschsprachigen Zeitungen und auch als Flugschrift verschiedene Nachdichtungen, die seinen Ruhm auch außerhalb Ungarns in revolutionären Kreisen verbreiteten. Petőfis Rolle in der ungarischen Freiheitsbewegung wirkte – im Verein mit seiner politisch-nationalen Lyrik – ungemein anregend auf etliche junge, meist jüdischstämmige, revolutionär gesinnte Literaten, wie etwa auf die beiden Jugendfreunde aus Prag, Frigyes Szarvadi und Moritz Hartmann in ihrem Pariser Exil sowie auch auf die beiden revolutionären Wiener Studenten Carl Adolph Buchheim und Oskar Falke, die gleichfalls ihr Heil in der Flucht suchen mussten, oder auf den aus Oberungarn stammenden Arzt Moritz Vasfi, der im Exil verstarb.

    Die jüngere Generation der gleichfalls meist jüdischstämmigen ungarndeutschen Petőfi-Übersetzer zeichnete sich – im Gegensatz zur älteren ­– durch größere Professionalität und Treue dem Original gegenüber aus. Viele von ihnen publizierten in damals beliebten, teils nur sehr kurzlebigen Unterhaltungsblättern. Im von Heinrich von Levitschnigg herausgegebenen Pester Sonntagsblatt veröffentlichten etwa die beiden Auslandsflüchtlinge Mór Miháli Szegfi und der griechischstämmige Demeter Dudumi, aber auch Übersetzer wie Antal Eiber, Leopold Rosner und Alfred Teniers. Auch ein gewisser C/arl Schröter gab hier und – „mit einem Nachwort an Kaiserin Elisabeth von Oesterreich“ – seine Lieder aus Ungarn heraus. Der jüdische Schriftsteller, Übersetzer, Journalist und Zeitungsgründer Moritz Gans-Ludasy (1829-1885) publizierte dagegen seine Übersetzungen mehr in deutschen Zeitungen, wie etwa in den humoristischen Fliegenden Blättern, und auch Karl Isidor Beck (1817-1879), der gleichfalls jüdischstämmige, in Ungarn geborene, zunächst abwechselnd in Berlin und Wien lebende Journalist, Schriftsteller und Dichter des sogenannten „Jungen Deutschland“, publizierte Petőfi-Gedichte in der Pester Post und in der von ihm kurzzeitig in Pest herausgegebenen belletristischen Zeitschrift Frische Quellen. Auch in der von dem jüdischstämmigen Dichter, Theaterschriftsteller und Journalisten Karl Groß herausgegebenen Zeitschrift Pannonia, sowie in anderen ungarndeutschen Kulturblättern erschienen Petőfi-Übersetzungen nicht nur von Groß, sondern auch von Carl Horschetzky, Moritz Straßmann, Frigyes Földényi und Ignatz Schnitzer.

    Aufgrund all dieser lebendigen und engagierten Kulturarbeit verbreiteten sich Petőfis Dichtungen in deutscher Fassung nicht nur in- und außerhalb der Monarchie, sondern – über die engmaschig miteinander vernetzten deutschen Asylanten – auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes. Ab den 60er, mehr noch 70er, 80er und 90er Jahren stieg Petőfis Beliebtheit beständig an, was nicht nur an vielen weiteren Übersetzungen, sondern auch an deren nun einsetzenden zahlreichen Vertonungen zu sehen ist.

Margarete Wagner