50 Jahre versuchter Annäherung

50 Jahre versuchter Annäherung

Die Kontakte zwischen Ablehnung und Zusammenarbeit

Lehren aus einer unvollendeten Geschichte mit den      burgenländischen Ungarn

Ankündigung

Als letztes Referat dieser Tagung mag die Thematik meiner kritischen Überlegungen kaum in den gegebenen Rahmen passen. Und dennoch bin ich bemüht zumindest ein gewisses Interesse für ein „Sachgebiet“ zu wecken, das uns alle berührt oder zumindest angeht. Als Wasserscheide kann das Jahr 1971 erachtet werden, als einerseits österreichweit die zehnjährig fällige Volkszählung durchgeführt, anderseits das Gesetz über die Gemeindezusammenlegungen im Burgenland erlassen wurde. Damals verfügte ich bereits über Informationen über die ungarische Minderheit, und um meine Kenntnisse vor Ort zu erweitern, habe ich den Entschluss gefasst, den Sommerurlaub im Südburgenland zu verbringen1. Die Wahl fiel auf Sziget in der Wart, eine Siedlung mit 255 Einwohnern, davon 214 ungarischsprachig (1971), wo die ungarische Sprache noch allgemein gebräuchlich war.

Warum die Wahl auf diese Ortschaft fiel, die ihre Selbständigkeit als politische Gemeinde gerade eingebüßt hatte, hat eine romantisch-idyllische Vorgeschichte. 1969 wurde die Namensgebung von vier oder fünf Säuglingen aus Wien bzw. Niederösterreich angekündigt, die in der evangelischen bzw. der kleinen katholischen Kirche getauft werden sollten. Für mich war es etwas Besonderes zu der Feier als Gast eingeladen zu sein. Es war zu Pfingsten und ein glanzvoller Frühlingstag erfüllte die Atmosphäre. Alles war neu und das herrschende Grün strahlte Lebensfreude. Von den unterschiedlichen Zeremonien in den Kirchen blieb nicht viel für die Erinnerung, außer, dass der evangelische Pastor, in der Annahme, es handle sich um eine nationalistische Demonstration, die Taufe verweigerte. Dafür hat das Dorf mit seinen Bewohnern mich völlig vereinnahmt. Auch das Wirtshaus, wo anschließend der säkulare Teil der Feier stattfand, fesselte mich weniger, umso mehr dafür das Dorfbild. Die ganze Ortschaft stand in weißer Blütenpracht, die sogar die Hausdächer überragte. Zu meiner Überraschung entdeckte ich in der Nachbarschaft ein leerstehendes Haus, das als Leben von gestern auf mich gewirkt hat. So stöberte ich nicht nur den Hof, sondern auch die Stuben samt Dachboden durch. Im letzteren fand ich einen Trommelrevolver, vermutlich aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, unter den Balken versteckt. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und steckte die Waffe als Talisman ein. Ebenso ging ich mit dem Gebetbuch, das in der Stube auf dem Tisch lag, um. Auch handschriftliche Eintragungen über Unwetter und Ähnliches fanden sich in ihm.

Mein nicht zuletzt emotionales Interesse steigerte sich bis zur Bereitschaft, in das dortige Leben einzutauchen und helfend mitzuwirken. Auch diesbezüglich gab es eine Vorgeschichte, die differenziert und zugleich widersprüchlich war. Eine Gruppe von Studenten und Jungakademikern gründete 1967 unter dem Titel „integratio“ ein zweisprachiges Periodikum, das sich „europäische Kulturzeitschrift“ nannte. Ein Exemplar der ersten Nummer mit dem Hauptthema österreichisch-ungarischer Ausgleich, ließ ich dem Herausgeber der Monatsschrift „Burgenländisches Leben“ in Eisenstadt zukommen. Um sich über seine Einstellung ein Bild zu machen, soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Herr Doktor Westungarn (Transdanubien) konsequent als „Ostburgenland“ apostrophierte, und er mich in der Redaktion mit der Feststellung empfing, ich solle es wissen, dass er die Ungarn nicht leiden kann. Trotz dieser verblüffenden Ankündigung dauerte unser Gespräch gute zwei Stunden. Offensichtlich meine Entgegnung, es sei sein gutes Recht über die Ungarn negativ zu urteilen, vielmehr aber der Inhalt unserer Zeitschrift bewegten ihn zu einem Besseren. So veröffentlichte er nämlich in seiner Monatsschrift unter dem Titel „Ungarische Emigration mit neuem Gesicht“ einen ganzseitigen Artikel, in dem er sein Vertrauen zu den jungen Mitarbeitern der „integratio“ überschwänglich zum Ausdruck gebracht hat. Besonders die europäische Orientierung unterstrich er mit dem Hinweis, vom Chauvinismus früherer Zeiten befreit, verdient diese Gruppe fördernde Anerkennung2. Diese setzte er auch in einem Brief um, indem er auf die ungarische Minderheit im Burgenland aufmerksam machte und nahelegte, die jungen ungarischen Intellektuellen aus Wien sollten den burgenländischen Ungarn behilflich zur Seite stehen. Zu diesem Zweck übermittelte er sogar etliche Kontaktadressen.

Trotz des ernüchternden Eindruckes, dass der 1968 gegründete Burgenländisch-ungarische Kulturverein unsere Grußbotschaft aus Wien unbeantwortet ließ, nahm ich als Urlauber einen neuen Anlauf und versuchte mit Vertretern der Ungarn (Seelsorger, Lehrer) in Berührung zu kommen. Mit Ausnahme eines einzigen, des in Wien lebenden Burgenländers, stieß ich zunächst auf Misstrauen oder höchstens auf eine höfliche Distanzierung. Der Bezirksschulinspektor empfing mich zwar, aber es missfiel ihm, dass ich ein Emigrant war. Der katholische Pfarrer von Oberwart hat mich eingehend befragt, ob ich auch einer der Emigranten-Ungarnerlöser sei, denn diese können bei ihm eher mit einem Fußtritt als mit freundlicher Aufnahme rechnen. Als ich mich ihm aufdrängte, wies mir der Obmann des Kulturvereins förmlich die Tür mit der Bemerkung: da kommen diese Dahergelaufenen und tun nichts anderes als die Palästinenser, nur Unruhe stiften. Es kostete mich nicht wenig Überwindung unter dem Eindruck dieser Episoden doch nicht nachzulassen. Obwohl auch die Zuwendung eines Benediktiners eine Vorbelastung bedeutete: Er jammerte uns an, wie schwer es für ihn sei für die Ungarn in der Wart zu arbeiten, deshalb sollen wir, junge Generation behilflich zur Seite stehen. Er lud uns ein, uns mit den Zuständen vor Ort bekannt zu machen. Einer von uns folgte der Einladung zwar nur ungern, dennoch trafen wir zum vereinbarten Termin im Gasthaus in Oberschützen ein. In der leisen Hoffnung, dass der Pater mit einem Mittagessen aufwartete, warteten wir stundenlang, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Der ratlose Wirt konnte auch nichts anderes, als die Wohnadresse des Benediktiners anzugeben. Dort hingekommen, öffnete sich seine Tür trotz wiederholten Läutens nicht, bis eine Hausbewohnerin uns aufklärte, sie wisse es auch nicht, wohin er sich begeben hätte, aber erst gegen sechs Uhr werde er zurückkommen. Es blieb uns folglich nichts anderes übrig, als mit leerem Magen kehrt zu machen und die Rückfahrt nach Wien anzutreten.

Zu Ende des ersten Urlaubes konnte ich einige, vor allem Geistliche und Lehrer samt Bezirksschulinspektor zu einem Treffen beim katholischen Pfarrer in Oberwart bewegen. Die Gespräche nahmen einen positiven Verlauf, und wir vereinbarten, weiterhin in Kontakt zu bleiben. Als Gastgeber sollte jeweils ein anderer auftreten. Als nächster übernahm der reformierte Pastor von Oberwart diese Rolle. Voll Ungeduld wartete ich auf den Temin. Da ich vorsichtshalber nicht drängen wollte, geschah nichts. Aus unerklärlichen Gründen kam die zweite Gesprächsrunde nicht mehr zustande. Als einzig greifbares Ergebnis kam ein dreisprachiger Wandkalender heraus, den wir mit dem Gründer des Vereins,"Unterwarter Heimathaus“ auf die Beine stellen konnten. Das Erscheinen dieses bescheidenen Unterfanges verzögerte sich, so dass der Kalender erst Ende Jänner 1972 die Druckerei verließ. Dieses ist aber eine völlig andere Geschichte.

Ungeachtet dieser zweifelhaften Fühlungnahme gestalteten sich die zwischenmenschlichen Beziehungen einwandfrei. So war der erste Besuch eines Heurigen am Eisenberg ein bleibendes Erlebnis. In Sziget half ich meinem Gastgeber beim Zeitungsaustragen mit dem Gewinn, dass ich durch die Rundfahrten in den frühen Sonntagsstunden die nächste Umgebung, auch wenn nur oberflächlich, auskundschaften konnte. Mit einigen der Dorfbewohner, darunter dem evangelischen Pastor konnte ich gute Kontakte anknüpfen. Nähere Kenntnisse über das Leben einer kleinen ungarischen Gemeinde erwarb ich von ihnen.

Einige Höhepunkte verdienen hervorgehoben zu werden. Zweifelsohne steht an erster Stelle der 60. Geburtstag meines väterlichen Freundes. Im Hofe des „Unterwarter Heimathauses“ fand ein regelrechtes Volksfest mit Kesselgulasch statt. Ich stellte mich als Koch in den Dienst. Zahlreiche Zaungäste standen vor dem Haus auf der Straße. In der feierlich-fröhlichen Stimmung kam urplötzlich die Meldung: einer der Zaungäste drohte mit der Gendarmerie. In meinem überschwänglichen Übermut habe ich den Delinquenten ausfindig gemacht und ging auf ihn zu. Nach dem Grund seiner Aufregung gefragt, gab er mir zur Antwort, die Feier sei zu laut, und es werde ungarisch gesprochen und gesungen. Daraufhin lautete meine zweite Frage, was er denn für ein Landsmann sei – selbstverständlich auf Ungarisch. Er nannte sich Farkas und wäre ein Deutscher, gab er mir zur Antwort. So, dann nennen sie sich Wolf und reden wir miteinander deutsch, schlug ich ihm vor, bis ich den wahren Grund seiner Nörgelei erahnte: Er fühlte sich von der Gesellschaft ausgeschlossen, und ich habe sofort gewusst, was zu tun war. Da der Hausherr nichts dagegen hatte, lud ich ihn auf ein Glas Wein ein. Scheinbar unschlüssig hat er angenommen, sich in den Hof zu begeben, und folgte der Einladung. Durch Gulaschsuppe und Wein ließ er sich besänftigen. Zum Schlusse trennten wir uns als Kumpel.

Jener Sommer gestaltete sich durch wiederholte Treffen bei Wein und Gesang in Unterwart zu einer zeitlosen Unbekümmertheit. Nicht ganz so geartet war mein Gastgeber in Sziget. Unsere Gespräche waren zumeist von eher ernsthafterer Natur. Er führte einen Gemischtwarenladen, in den etliche Dorfbewohner auf ein Glas Wein einkehrten. Sein eigentlicher Stolz war eine reichhaltige Sammlung von Uhren, alten Büchern und vor allem bäuerlich-landwirtschaftlichen Geräten aller Art. Seine Sammelleidenschaft ließ nicht nach, obwohl er die Neuerwerbungen kaum mehr unterbringen konnte. Mein Interesse veranlasste ihn dazu, mich als Experten zur Seite zu nehmen. Meine Aufgabe bestand darin, die als Klumpert bezeichneten Objekte geringschätzig zu bewerten, damit er sie möglichst billig in seinen Besitz nehmen konnte. Als ich Jahre später unangemeldet bei ihm eintraf, überrumpelte er mich mit einer scheinbar wichtigen Fahrt nach Oberwart. Wir überraschten eine junge Frau mit der Nachfrage nach antiken Sachen, mit denen sie jedoch nichts anfangen konnte. Sie schaute ziemlich ratlos in ihrer Wohnung um und wies auf eine Hitlerbüste in einer Vitrine. Sonst hätte sie keine rustikalen Sachen. Unverrichteter Dinge machten wir uns auf den Weg, aber Hitler als rustikaler Gegenstand erheiterte mich.

Unter dem Titel „Im Soge der Zeit – Aufzeichnungen aus der Wart“3 fanden die Eindrücke und Erfahrungen der ersten drei Jahre ihren schriftlichen Niederschlag. Hier setzte ich mich weniger mit den persönlichen Animositäten als vielmehr mit der problematischen Lage der ungarischen Minderheit auseinander. Schlimm genug kam mir vor, wie alles Ungarische vom Deutschen immer mehr überschichtet und widerspruchslos hingenommen wurde.

Die kritische Phase der Auseinandersetzungen

Die geknüpften Kontakte waren eigentlich mit einer Hochschaubahn zu vergleichen, denn sie verliefen doppelgleisig. Während die persönlichen Begegnungen auch in den Nachwirkungen aufmunternd geblieben sind, gestalteten sie sich auf Vereinsebene immer steiniger. Diesbezüglich hat sich der Burgenländisch-ungarische Kulturverein nachhaltig unangenehm hervorgetan. Die Zusammenarbeit mit dem „Unterwarter Heimathaus“, vor allem mit dem väterlichen Freund, blieb jedoch bis zu seinem Tod erhalten. Unsere gemeinsame Schöpfung, der Wandkalender überlebte die Jahrzehnte bis zur Gegenwart. Auch das permanente Auf und Ab führte dazu, dass der Bezirksschulinspektor mich anhielt einen Vortrag über ungarische Geschichte zu halten. Es hätte ein großer Fisch werden können, wo doch die burgenländischen Ungarischlehrer eine lose Arbeitsgemeinschaft bildeten. In nur einer Doppelstunde die ungarische Geschichte vorzutragen, übertraf allerdings mein Fassungsvermögen. Die Enttäuschung war ernüchternd, sodass die Initiative keine Fortsetzung fand.

Meine Bemühungen, dennoch nicht aufzugeben, führten langsam zu einer Annäherung. Die Kontaktverweigerer änderten ihre Vorurteile und waren nun bereit, mich in ihre Kreise aufzunehmen. Als Gegenleistung habe ich sie nach Wien eingeladen. So übernahm der Bezirksschulinspektor im Verein „Europa“-Club einen Vortrag über „Ungarischunterricht im Burgenland – Probleme und Zielsetzungen“. Auch der katholische Pfarrer von Oberwart änderte seine Einstellung und berichtete über „Die Obere Wart in historisch-geographischer Sicht“. Beide hielten ihren Vortrag in deutscher Sprache. Der Unfalltod des Bezirksschulinspektors in Italien erschütterte mich. Und mit dem katholischen Pfarrer sind wir bis zu seinem Tod gute Freunde geblieben. Sein Lebenswerk war die Herausgabe der Monographie „Die Obere Wart“ (1977). Als Mitautor befasste ich mich mit dem wirtschaftshistorischen Teil in der Neuzeit, selbstverständlich in deutscher Sprache. Das stattliche Werk kann als Glanzleistung mit der Bemerkung gewertet werden, es fand keinen Zugang zu der Bevölkerung und fristet ein Schneewittchendasein im Rathaus in Oberwart.

Auch mit dem reformierten Pastor in Oberwart wurden wir gute Freunde, sogar auf Familienebene, dies, obwohl er meinen kritischen Hinweis über die Bibliothek, die pro Woche lediglich eine halbe Stunde offenhielt, mit der Bemerkung übelgenommen hatte, warum ich ihn vorher nicht kontaktiert habe. Er blieb mit seinen Äußerungen immer vorsichtig genug. Die Rücksichtnahme auf die politischen Verhältnisse war für die zuständigen Ungarn relevant. Diese Verhaltensweise musste ich ihnen mit der Zeit abnehmen. Dazu sei eine Begegnung mit einem Mann in Erinnerung gerufen, der den Kaufmann in Sziget besuchte. In der Annahme, er sei ein Deutschsprachiger, sind wir ins Gespräch gekommen. Erst nach einer Weile gab er zu, dass er ungarisch konnte. Auf die Frage, warum er denn mit mir nicht ungarisch gesprochen hat, gab er mir zur Antwort: Er sei Straßenmeister im Landesdienst und es gehört zur Loyalität, dass er mit seinen Gesprächspartnern in deutscher Sprache verkehre.

Auch einseitig negative Erfahrungen musste ich machen. Dazu zwei Episoden, die mich hart getroffen hatten. Mein Vorhaben, in Sziget eine ständige Bleibe zu finden, scheiterte, und so war mein Gastgeber bemüht, mir behilflich zu sein. Eines Tages informierte er mich über einen Grundstücksverkauf im benachbarten Eisenzicken. Wir sind mit dem Besitzer fast einig geworden, nur machte es mich stutzig, warum er für einen Quadratmeter 20 Schilling rechnete, wo doch der Preis in Sziget bei 10 Schilling lag. Nach dem Grund gefragt, entgegnete er: Es sei klar, in Sziget wohnten doch lauter Ungarn. Ausgesprochen beklemmend wirkte auf mich die Begegnung mit dem Schlossherrn von Schlaining. Mein Gastgeber machte die Bemerkung, er sei mit Dr. Dr. Dr. Udo Illig (1897-1989) befreundet und wolle, dass ich bei ihm vorstellig werde. So setzten wir uns in sein Auto und fuhren los. Am Ziel angekommen konnte von einer freundschaftlichen Beziehung kaum die Rede sein. Herablassend sprach er meinen Gastgeber mit der Bemerkung, Zigeuner, an. Mein Gastgeber wollte und konnte dieses nicht gelten lassen, worauf als Antwort die Generalabstempelung kam: Ihr Ungarn seid ja lauter Eindringlinge und Zigeuner.

Aus einem anderen Blickwinkel

1968 kam die Nachricht im ORF über die Gründung des Burgendländisch-Ungarischen Kulturvereins. Aus Wien erging ein Glückwunschreiben mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit nach Oberwart. Wie bereits erwähnt, ließ eine Antwort bis dato auf sich warten. 1971 suchte ein burgenländischer Ungar in Wien einen Ungar, der ihm beim Aufbau des „Unterwarter Heimathauses“ behilflich sein könnte. Daraus entstand eine über ein Jahrzehnt hinausreichende Zusammenarbeit. Der Pfarrer von Oberwart stellte einen Mitarbeiterstab zusammen, um die Monographie „Die Obere Wart“ zu bewerkstelligen. Sommerurlaube in Sziget in der Wart und Unterwart dienten dazu, Land und Leute näher kennenzulernen. Es folgten Gastvorträge über die Lage der burgenländischen Ungarn, speziell auch über das Unterrichtswesen, in Wien. Bei der Gründung des Zentralverbandes Ungarischer Vereine und Organisationen in Österreich (in der Folge kurz Zentralverband) bestanden ernsthafte Bemühungen, diesen „Vertretungskörperschaft“ mit den burgenländischen Ungarn gemeinsam zu verwirklichen. Die Volksrepublik Ungarn warnte vor diesem Plan. Widersprüche und Kontroversen waren die Folgen, bis – nach dem Zusammenbruch des Einparteiensystems – die Gegensätze geglättet wurden und eine – auch wenn nicht ganz reibungslose Zusammenarbeit im Beirat für die ungarische Volksgruppe erzielt werden konnte.

Für Jänner 1980 haben wir den Termin für Gespräche in Unterwart festgesetzt. Ein Unbehagen verbreitete sich schon vorher, indem der Obmann des Burgenländisch Ungarischen Kulturvereins (kurz: Kulturverein) in der Sitzung des ungarischen Volksgruppenbeirates mittels eines handschriftlich improvisierten Schreibens heftig gegen das Treffen protestierte. Dieses überreichte er dem Vertreter der katholischen Kirche, der merkwürdigerweise der Wiener ungarische Seelsorger war. Nicht nur aus Wien, sondern auch aus Graz trafen Vereinsvertreter ein. Auch mehrere burgenländische Ungarn waren erschienen, unter diesen der Vertreter der evangelischen Kirche HB aus Oberwart, der ein unparteiisches Verständnis für das Vorhaben bekundete. Dies auch schon deshalb, weil der Kulturverein des Öfteren schon darauf verwies, er hätte Alleinvertretungsrecht vom Bundeskanzleramt schriftlich erhalten. Und ausgesprochen der Kulturverein distanzierte sich von dem Treffen. Der Obmann-Stellvertreter war zwar erschienen, erklärte aber, er sei als Privatperson gekommen. Zum Schlusse gab er eine Erklärung ab, die selbstredend war: Er ersuchte mit der Begründung um Verständnis, dass der Kulturverein gute Zusammenarbeit mit dem Weltbund der Ungarn und der Vaterländischen Volksfront in Budapest pflege, und er diese gute Zusammenarbeit durch Kontakte zu Emigranten nicht aufs Spiel setzen wolle.

Dies war eine unmissverständliche Offenlegung, deren Hintergründe wir erst im Nachhinein in Erfahrung bringen konnten. In der Festtagsnummer des Parteiorgans Népszabadság zu Weihnachten 1979 war eine ganze Seite dieser Problematik gewidmet. Hier wurde zwischen guten und bösen Ungarn unterschieden. Erstere waren, die sich zu der ungarischen Volksrepublik loyal verhielten, letztere die hasserfüllten Kalten Krieger (hidegháborús emlőkön nevelkedett gyűlölködők)4; dabei wurde auch ich persönlich so genannt). Sie seien zwar nicht zahlreich, dennoch müssen die braven burgenländischen Ungarn von ihnen ferngehalten werden, damit sie durch jene nicht infiziert werden. Durch diese Intervention war der Weg in die Zukunft vorgezeichnet, so dass der Kulturverein zur Verhinderung eines gemeinsamen Vorgehens nichts ausließ. Schreiben des Kulturvereins trafen im Bundeskanzleramt mit dem Ziel ein, den in der Zwischenzeit (9. Februar 1980) gegründeten Zentralverband Ungarischer Vereine und Organisationen in Österreich zu diffamieren und ihm die Anerkennung der österreichischen Staatsbürger ungarischer Sprache als Teil der ungarischen Volksgruppe zu verhindern.

Der Obmann-Stellvertreter, der in der Zwischenzeit die Leitung des Kulturvereins übernommen hatte, hat sich diesbezüglich besonders konsequent verhalten. Er steigerte sich in seiner Ablehnung so weit, dass er in einer Stellungnahme des Kulturvereins zum Memorandum des Zentralverbandes an das Bundeskanzleramt diesem nahelegte, der Zentralverband wegen seiner „volksgruppenfeindlichen Betätigung“, „ob seiner der ungarischen Volksgruppe schadenden Tätigkeit nicht laut Staatsvertrag 1955, Art.7, 5. zu verbieten wäre.“5 Meine Person erwies sich für ihn ohnehin als ein rotes Tuch. Bei einem Treffen von Volksgruppenvertretern in Wien konnte er seine Ablehnung nicht unterdrücken und bezichtigte mich eines Faschisten, allerdings auf Ungarisch. Die anderen, so ein tschechischer Vertreter verstand die Aufregung nicht und fragte nach deren Grund.

Als die Anerkennung der Wiener Ungarn immer näher rückte, luden Innenminister Franz Löschnak (SPÖ) und Bildungsminister, zugleich Vizekanzler Erhard Busek (ÖVP) zu einem Sondierungsgespräch im Bundeskanzleramt ein. Neben den Mitgliedern des Beirates für die ungarische Volksgruppe mobilisierte der Kulturverein Zeugen, die sich vehement gegen die Pläne der Bundesregierung aussprachen. Kernpunkt ihrer Aussage war: mit dem Zentralverband sei eine Zusammenarbeit nicht möglich, weil seine Vertreter trotz geschlossener Vereinbarungen wiederholt und nachweislich wortbrüchig“ wurden6. Ein willkommener Anlass dafür war ein Rückzieher des Zentralverbandes. Es sollte nämlich zu einer neuen Besprechung zwischen den burgenländischen und Wiener Ungarn kommen7. Der Obmann des Kulturvereins hat sich vorher dafür ausgesprochen, dass alle Vereine und Organisationen daran teilnehmen sollten. Der Zentralverband stand vor einem Dilemma, weil unter allen auch die Kollaborateure gemeint waren, deren „Dachverband“ eindeutig gegen den Zentralverband gerichtet war. Nach einer langen Debatte lautete der Beschluss: der Kulturverein möge Verständnis dafür zeigen, dass der Zentralverband sich gegen die Teilnahme des kommunistisch gefärbten „Dachverbandes“ ausgesprochen hat. Das Gespräch, das der reformierte Bischof von Oberwart mit einer rührenden Ansprache einleitete, kam zwar zustande, der Obmann des Kulturvereins sorgte aber dafür, dass es mit einem Eklat endete. Er ließ sich sogar zur Äußerung hinreißen, unter den Teilnehmern könnten welche sein, an deren Händen Blut klebte.

Trotz der feindseligen Haltung des Kulturvereins blieben die Vertreter der Bundesregierung unbeirrbar, und am 9. Juli 1992 sprach sie sich nach Anhörung des Hauptausschusses des Nationalrats für die Anerkennung der österreichischen Ungarn im Raume Wien als Teil der ungarischen Volksgruppe aus. Zum Zeichen dafür wurde die Zahl der Beiratsmitglieder von acht auf 16 erhöht. Die Vereinsvertreter stellten je zur Hälfte der Burgenländisch Ungarische Kulturverein bzw. der Zentralverband. Der neue Beirat konstituierte sich am 16. Februar 1993 unter der Leitung von Bundeskanzler Franz Vranitzky. Die feierliche Stimmung war dadurch getrübt, dass der Obmann des Kulturvereins mit seinem Sohn aus Protest gegen die neue Zusammensetzung des Beirates sein Mandat zurücklegte. Diesem ging ein ähnlicher Vorgang im Parlament voraus: Der Volksgruppensprecher der ÖVP, auch ein burgenländischer Ungar trat von seiner Funktion mit der Begründung zurück: heute kommen die zugewanderten Ungarn, morgen die türkischen Gastarbeiter. (Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung für die Anerkennung der Slowaken und Roma als eigene Volksgruppe ausgesprochen. Seltsamerweise hatte dieser burgenländische Ungar gegen diesen Bescheid nichts einzuwenden.)

Nach einer Atempause siegte doch die Vernunft: der Kulturverein delegierte zwei neue Vertreter in den Beirat, die bereit waren, mit den Wiener Beiratsmitgliedern zusammenzuarbeiten. Es herrschte fortan eine angenehme Atmosphäre, insbesondere unter der Leitung des Bürgermeisters von Oberpullendorf. Er war auch derjenige, der die vom Zentralverband organisierte „Kufsteinkonferenz“ nach Oberpullendorf als Tagungsort eingeladen hat. Auf vier gute Jahre (1997-2001) folgten wieder unruhige Zeiten. Es dauerte zwei Jahre, bis das Bundeskanzleramt sich für die Einbeziehung des „Dachverbandes“ ausgesprochen hat, und der Zentralverband dabei auf ein Mandat verzichten musste. Eine Beschwerde von Seiten des Zentralverbandes wurde bis zum Ende der Funktionsdauer des Beirates hinausgezögert, bis der Verwaltungsgerichtshof in einem Bescheid mitteilte, die Beschwerde sei infolge des Auslaufes der Funktionsdauer gegenstandslos, und eine neue Beschwerde kann nur gegen die Zusammensetzung des neuen Beirates eingereicht werden.

Dazu hat das Bundeskanzleramt bei der Nominierung des Beirates einen modifizierten Weg eingeschlagen: künftighin wurden aus dem Personenkreis 12 „repräsentative Vereine“ angeschrieben; ihnen wurde das Recht eigeräumt, aus ihren Reihen je 1-3 Personen zu nominieren, von denen der Bundeskanzler acht auszuwählen vorhatte. Die Volksgruppenbeiräte hatten ohnehin keinen einwandfreien Ruf, nun hätte das Bundeskanzleramt die Möglichkeit aus maximal 36 Personen acht beliebige Personen zu Mitgliedern des Beirates zu ernennen. Auf die Initiative des Zentralverbandes kamen Sondierungsgespräche zustande, und zum Schlusse einigten sich die Vereinsvertreter über die acht Personen, die zum Teil gemeinsame Kandidaten mehrerer Vereine waren. Die auf diese Weise erstellte und von allen Vereinen unterzeichnete Liste wurde dem Bundeskanzleramt vorgelegt und von ihm akzeptiert.

Das Jahr 1996 brachte zwei bedeutende Jubiläen: 1000 Jahre Ungarn und Österreich begingen die burgenländischen und die Wiener Ungarn – konkret der Kulturverein und der Zentralverband – mit einem gemeinsamen Festakt in Oberwart. Als Gastgeber begrüßte der Bürgermeister der Stadt die Festgäste, unter diesen Erhard Busek und Landeshauptmann Karl Stix. Die Feierlichkeiten am 18. Mai standen im Zeichen der Versöhnung, gar der Verbundenheit. Die früheren Kontroversen konnten beseitigt und neue Wege der Zusammenarbeit eingeschlagen werden.

Es folgten wieder Jahre mit belastenden Meinungsverschiedenheiten, die teils auf Interessenlosigkeit, teils auf unterschiedliche Interessen zurückzuführen waren. Die erwähnte Nominierungsweise wurde zweimal mit Erfolg befolgt. Das dritte Mal konnten die in der Zwischenzeit ausgebrochenen Gegensätze, diesmal im Kreise der Wiener Ungarn, nicht überwunden werden, die teilweise bis in unsere Tage anhalten. Die burgenländischen Ungarn verfolgen mit wachsender Skepsis und Distanzierung diese von politischer Unreife zeugenden Vorgänge.

1 Zu diesem Referat diente als Gedächtnisstütze: Ernő Deák, Az Öreghegytől a Schneebergig. Utam állomásai, Budapest 216, insbesondere S. 106, 110-114, 133, 159.

2 „Wir brauchen keine madjarischen Chauvinisten in Österreich, die die Unwissenheit der breiten Masse und weitestgehend auch die verantwortlichen Stellen ausnützen, um als „arme“ Emigranten gegen Österreich versteckt zu wühlen und zu hetzen und Geschichtsklitterung zu betreiben. Aber wir brauchen dringendst Menschen, die als bewußte Madjaren auch bewußte Österreicher sind, die den Willen und die Fähigkeit haben, die positiven Elemente der Begegnung des deutschsprachigen Österreichertums mit dem Madjarentum im europäischen Geist zu sehen und weiterzuentwickeln.“

„Genauso wie wir im Burgenland den Bestand einer kroatischen Volksgruppe als wesentlich betrachten, genauso hat in Österreich auch ein Austromadjarentum seinen Platz, das gleichermaßen aus der winzigen madjarischen Volksgruppe des Burgenlandes wie aus der madjarischen Emigration herauswachsen kann. Es wäre eine große Aufgabe des Burgenlandes, gemeinsam mit Wien und selbstverständlich mit dem Bund der in der „integratio“ zu Worte kommenden Richtung Rückhalt zu bieten bei der Erfüllung einer Aufgabe, die in gleichem Maße madjarisch, österreichisch und europäisch ist“. Burgenländisches Leben, März 1968, S. 19.

3 Az idő sodrában – Őrségi jegyzetek, in: integratio `74, Bécs 1975 (S. 140-170).

4 László Szabó, Burgenlandi magyarok között. Az Őrség – odaát. Népszabadság, 24. Dezember 1979, S. 17.

5 Brief des Kulturvereins vom 28. Juni 1988. Eine Kopie befindet sich im Schrifttum des Zentralverbandes.

6 Stellungnahme zum selben Thema vom 22. Juni 1988.

7 Seit 1980 war es der vierte Versuch einer Verständigung. 1984 in Walpersdorf, 1986 und 1987 in Oberwart.

Deák Ernő