In 100 Jahren wird es uns Volksgruppen noch geben

In 100 Jahren wird es uns Volksgruppen noch geben
Fotó: Petar Tyran

wenn wir jetzt entschlossen genug sind und Selbstvertrauen haben!

Wir schreiben das Jahr 2121 — die Volksgruppen im Burgenland: Wer sind sie, wie leben sie, wie geht es ihnen?“ Ein herausforderndes und auch dankbares Thema für ein Symposium. Warum? Weil es zum Denken anregt, herausfordert — und weil einem die Kritik über vielleicht Gesagtes und Verkündetes nicht mehr übel genommen werden wird noch werden kann. In hundert Jahren gibt es uns ganz sicher nicht mehr, egal wie jung wir noch sein mögen (cit. Anita Malli). In hundert Jahren gibt es auch unsere Kinder nicht mehr, sollten sie schon geboren sein. In hundert Jahren gibt es vielleicht noch unsere Enkelkinder, sollten sie erst später geboren werden. Also wer sollte dann über uns richten und über das, was wir heute sagen, tun oder eben nicht, wer sollte uns dann noch der Kritik aussetzen, was wir gestern gesagt, getan oder unterlassen haben? Wer wird sich dann noch erinnern (wollen)? Wenn es in hundert Jahren noch ein kollektives Gedächtnis der Volksgruppen geben wird, wird man sich daran erinnern, was die Vorväter und -mütter alles versäumt und unterlassen haben. Hier geht es ausnahmsweise nicht um das Klima, sondern um die Volksgruppen. Man wird sich fragen, warum hatten die früher so wenig Selbstvertrauen, wem glaubten sie sich damals, vor hundert Jahhren und mehr, anbiedern zu müssen, wessen Versprechungen glaubten sie damals, warum stellten sie sich damals nicht selbst auf die Beine und warum nahmen sie ihr Schicksal und unter anderem den Spracherhalt damals nicht selbst in die Hand?

In hundert Jahren werden wir unsere Sprachen vielleicht noch sprechen, aber nicht mehr schreiben (cit. Gerhard Baumgartner). Das hieße, dass es nur noch Tondokumente geben wird und dass alles, was einmal geschrieben wurde, von den kommenden Generationen nicht mehr abgerufen werden kann, außer vielleicht von intelligenten Sprach- und Übersetzungsprogrammen (cit. G. Bamgartner), welche die Funktion der Augen durch die Funktion der Ohren ersetzen wird. Das geflügelte lateinische Wort „verba volant, scripta manent“ (Worte verfliegen, Geschriebens bleibt, wovon wohl auch das „Jedes Schriftl a Giftl“ in seiner negativsten Form abgeleitet ist) wird dann wohl obsolet geworden sei, außer wenn das gesprochen Wort ehemals von intelligenten Maschinen aufgezeichnete worden war, das von späteren, noch intelligenteren Maschinen wieder abgespielt und zu Gehör gebracht werden wird.

              Fotó: Petar Tyran

Aber noch geben wir uns nicht geschlagen. Zumindest einige von uns. Nur wenn wir unsere Kinder heute einsprachig in der betreffenden Volksgruppen- oder Minderheitensprache erziehen, haben wir die Chance, dass sie später einmal zwei- bzw. mehrsprachig sein werden. Nur wenn wir jetzt auf einem intelligenten zweisprachigen Bildungsystem beharren, dann haben wir die reelle Chance, dass unsere Kinder und Enkelkinder nicht nur ihre Erstsprache (Mutter- oder Vater- oder Nannysprache) behalten könnten, sondern hoffentlich auch noch über ihre eigene Kultur und Identität Bescheid wissen könnten.

Wenn wir uns der Zieselkolonie im 22. Wiener Gemeindebezirk anschließen, haben wir die garantierte Chance, bevorzugt behandelt und geschützt zu werden. Wir fordern die selben Rechte und Mittel für die Volksgruppen, wie sie auch den Zieseln gewährt werden (cit. Terezija Stojšić/Stoisits).

               Fotó: Petar Tyran

Das anfangs zitierte und gut besuchte Symposium im Hrvatski centar/Kroatischen Zentrum in Wien hat einmal mehr gezeigt, dass Volksgruppenthemen auch weiterhin engagiert und kompetent diskutiert werden. Ort: Kroatisches Zentrum in Wien, Organisator: Wiener Arbeitsgemeinschschaft für Volksgruppenfragen - Volksgruppeninstitut, Referenten: Anita Malli und Gerhard Baumgartner aus Wien, Diskutanten: Volskgruppenagehörige aus Wien. Nicht zuletzt daraus ergibt sich die These: Die burgenländischen Volkgsgruppen mit beträchtlichem Bevölkerungsanteil auch in Wien können sich glücklich schätzen, Wien als geistiges und kulturelles Zentrum zur Verfügung zu haben und dem Burgenland dennoch nahe zu sein. Hier in Wien haben auch ehemalige, gegenwärtige und wohl auch zukünftige Aktivisten und Funktionäre ihr Engagement verstärken und sich auch fachlich und volksgruppenpolitisch weiterbilden und stärken können, was den Volksgruppen im Burgenland in der Folge sehr zu Gute kam und noch kommen wird. Die Volksgruppen in Ungarn zum Beispiel haben da weniger Glück, denn Budapest ist geografisch leider sehr weit entfernt, vor allem auch von den Kroaten im heutigen Westungarn, in Gradistei. Dieses urbane Zentrum fehlt daher, zumindest teilweise, in deren volksgruppenpolitischem Engagement.

                        Fotó: Petar Tyran

Sollten solche Symposien wie das am 5. November d. J. im Kroatischen Zentrum in Wien abgehaltene in Zukunft möglicherweise auch jüngere Zuhörer und Diskutanten anziehen, sollten sie ehestmöglich — aber nicht nur deswegen — wiederholt und fortgesetzt werden.

Petar Tyran