Mori(t)z Bermann contra Constantin von Wurzbach

Mori(t)z Bermann contra Constantin von Wurzbach

    Der Wiener Nachmärz-Schriftsteller, Feuilletonist, Kunst- und Autographenhändler Moritz Bermann (1823–1895), der auch unter den Pseudonymen Julius Marlott, Berthold Mormann, Moritz B. Zimmermann und Louis Mühlfeld publizierte, war Sohn des ursprünglich aus Westfalen stammenden jüdischen Kunstkenners und Schriftstellers Johann Sigmund Bermann (1794–1846), in dessen Handelsgesellschaft er nach dessen Tod eintrat, und er war Vater des im Exil verstorbenen Schriftstellers und Journalisten Richard Arnold Bermann (1883–1939), besser bekannt unter dem Namen Arnold Höllriegel. Von frühester Jugend an befasste er sich mit Studien, die Musik sowie die Stadt- und Personengeschichte betreffend, wobei vornehmlich Wien im Mittelpunkt seines Interesses stand. Auf Anregung des Bibliographen und Schriftstellers Franz Gräffer (1785–1852) legte er eine umfassende biographisch-genealogische Sammlung aus allen Ländern und Zeiten an und kam nach Gräffers Tod als nunmehr einziger Autographenhändler Österreichs in Verbindung mit den ersten Sammlern ganz Europas, sodass die größten Schätze dieser Art durch seine Hände gingen. Bald darauf trat er als Schriftsteller in etlichen Wiener Journalen auf und veröffentlichte verschiedene Arbeiten geschichtlichen und archäologischen Inhalts sowie biographisch-novellistische Skizzen, die besondere Aufmerksamkeit erregten.

     1853 unternahm er den Versuch, ein Österreichisches Biographisches Lexikon herauszugeben, das aber über den ersten Band nie hinauskam. Sein Anliegen war es, endlich dem dringenden Desiderat nach einem biographischen Nachschlagewerk über die Gesamtmonarchie nachzukommen, ein Vorhaben, das Österreichs berühmter Biograph, Lexikograph und Schriftsteller Constantin von Wurzbach-Tannenberg (1818–1893), der allerdings an der historischen Sorgfalt bei Bermanns Vorarbeiten allerlei zu bekritteln fand, begeistert aufgriff und schließlich 1891 erfolgreich zum Abschluss bringen konnte. Wurzbachs Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche 1750 bis 1850 im Kaiserstaate und in seinen Kronländern gelebt haben ist eine einzigartige Sammlung biographischer Daten, die aufgrund heute nicht mehr erhaltener beziehungsweise zugänglicher Quellen nach wie vor als Standard-Nachschlagewerk für vormals bekannte Personen von Rang und Namen aus allen Teilen der Donaumonarchie, und so auch aus Ungarn gilt. Allerdings muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass Wurzbach, zumindest was die biographischen Angaben zu Elisabeth Báthory betrifft, sich selbst mehr als nur unkritisch seinen Quellen gegenüber verhielt, da er mit dem Brustton der moralischen Entrüstung sämtliche Diffamierungen, die damals (1868) über die Hochadelige bereits im Schwange waren, wiedergab. Ursprünglich hatte Wurzbach Jus studiert, strebte eine Offizierslaufbahn an, veröffentlichte unter dem Pseudonym W. Constant Gedichte und erwarb als erster aktiver österreichischer Offizier einen Doktortitel in Philosophie. 1843 quittierte er den Dienst und wurde Scriptor an der Universitätsbibliothek in Lemberg, 1848 politischer Journalist, 1849 kam er an die Wiener Hofbibliothek, wurde Archivar im Innenministerium und baute eine Administrative Bibliothek auf, deren Bibliothekar er bis zu seiner Erhebung in den Ritterstand 1874 blieb. Ab da bis zu seinem Tod lebte er in Berchtesgaden. Neben Biographischen Skizzen widmete er sich bevorzugt der Sammlung von Sprichwörtern und Redensarten.

    Moritz Bermann dagegen übernahm 1856 für viele Jahre lang die Redaktion des politischen Blattes Wiener Courir. Obwohl sich sein Hauptinteresse auf Wien konzentrierte, flossen bei seinen Darstellungen doch immer wieder Nachrichten von Ereignissen über Ungarn und seine Bewohner ein. In der 1863 publizierten, gleichsam zu einem Volksbuch geadelten Geschichte der Wienerstadt und Vorstädte, die später (1865 und 1882) unter dem Titel Alt-Wien in Geschichten und Sagen erschien, finden sich auch Berichte über Mathias Corvinus` letzte Lebensstunde, das Leben des „Sohnes der Puszta“ und Fürstbischofs von Wien, Emerich Sinelli, die Entführung der Prinzessin Rakoczy, die Verschwörung des Zrinyi und Frangipani oder die Abwendung des Umsturzes der ungarischen Verfassung durch zwei edle Frauen, nämlich die „spanische Althann“ und die „schöne Lorl“ Batthyany. Über die Entführung der ungarischen Krone nach Wien sowie über Friedrich III. und seinen Gegner Mathias Corvinus erfährt man aus Alt- und Neu-Wien. Geschichte der Kaiserstadt und ihrer Umgebungen (1880), während Österreich-Ungarn im neunzehnten Jahrhundert (1884) auch von Ungarns Freiheitskampf und dem österreichisch-ungarischen Dualismus handelt. Die beiden Herrscherfiguren aus Maria Theresia und Kaiser Josef II. in ihrem Leben und Wirken (1881) inspirierten Bermann zu weiteren historischen Erzählungen und Romanen, wobei sein Interesse aber nicht nur der Geschichte, sondern – neben Sagen, Legenden und volkstümlichen Gebräuchen – auch historischen Anekdoten und Klatschgeschichten galt. Davon zeugen etwa seine Hof- und Adelsgeschichten (1869), die einen Bericht über eine von einem türkischen Derwisch ausgesprochene Todesprophezeiung für den Grafen Ludwig Batthyany enthält. Als ausgesprochener Vielschreiber war Bermann Verfasser zahlreicher, von Walter Scott und der Schwarzen Romantik inspirierter Romane und Erzählungen, wobei schlüpfrige Inhalte verheißende Titel, wie etwa Galante Geschichten (1870), Pikante Geschichten (1872), Coulissen-Geheimnisse aus der Künstlerwelt (1869) etc. die Lesergunst schüren sollten. Vor allem das Düstere, Unheimliche und Bedrohliche befriedigte das Leserbedürfnis der Zeit, was sich vielfach gleichfalls an Bermanns Buchtiteln ablesen lässt, wie: Ein finsteres Staatsgeheimnis und Ein Märtyrer der Liebe (1875), Das Testament des Freimaurers oder der Schatz des Geächteten (1875), Das graue Haus oder Die neuen Geheimnisse von Wien (1876), Mord in der Judenstadt. Wiener Sittenbild aus dem XVII. Jahrhundert (1880) etc. Er war aber auch Verfasser von Reiseführern, wovon sein Illustrierter Führer durch Wien und Umgebungen (1885) und Der Stephansturm und seine Denkwürdigkeiten (1878) zeugen. Mit dem Einakter Ein Abenteuer in der Prater-Allee. Historisches Alt-Wiener Genrebild (1891) versuchte er sich auch auf dem Gebiet der Dramatik, außerdem schrieb er historische Essays sowie Kunst-, Porträt- und Autographenkataloge, die seltene biographische Daten enthalten; zudem verlegte er bei Tobias Haslinger einige seiner Tanzmusik-Kompositionen.

    Die Sammlung Dunkle Geschichten aus Oesterreich (1886) enthält – neben etlichen historisch unterlegten Schauergeschichten aus den österreichischen Kernlanden – auch solche aus Böhmen, Mähren, Dalmatien und Ungarn, wie etwa Der Kerker des Tempelritters bei Oedenburg, Die Gattenmörderin von Preßburg, Eine räthselhafte Vision Nikolas Zriny’s und Die „eiserne Jungfrau“ in Oesterreich, die von Elisabeth Báthory handelt. Sie beginnt zunächst – durchaus fachkundig – mit den realienkundlichen Nachforschungen zweier völlig unterschiedlicher Männer: Der mecklenburgische Prähistoriker, Altertumsforscher, Bibliothekar, Konservator, Heraldiker, Redakteur und Publizist Georg Christian Friedrich Lisch (1801–1883) entdeckte beim Umbau des Schlosses Schwerin Teile einer Hinrichtungsmaschine, die der Beschreibung einer Eisernen Jungfrau nahekam, und der spleenige englische Rechtsanwalt, Komponist und Hobbyhistoriker Robert Lucas Pearsell [de Willsbridge] (1795–1856) verfolgte die Spuren einer Eisernen Jungfrau von Nürnberg über Dresden bis Schloss Feistritz in Kärnten, eine kostspielige Liebhaber-Recherche, die der französische Verleger und Journalist Èmil Girardin (1806–1881) im Münchner Conversationsblatt vom Jahre 1847 unter dem Titel Der Kuß der Jungfrau einem gewissen Wilmot zuschreibt, weswegen Bermann seinen spleenigen Hobbyforscher gleichfalls Wilmot nennt. Aufgrund „schauerlicher, doch psychologisch interessanter Momente“ mündet Bermanns Bericht mit den damals üblichen Diffamierungen rund um Elisabeth Báthory, die jedoch nachweislich nichts mit der Eisernen Jungfrau als Folterinstrument zu tun hatte; es war vielmehr der vielseitige Bermann selbst, der – gekonnt den Publikumsgeschmack seiner Zeit bedienend – immer wieder Beschreibungen komplizierter Mordmaschinerien in seine Romane und Erzählungen einfügte.

Margarete Wagner