Benedict Randhartinger

Benedict Randhartinger

Der Komponist als österreichisch-ungarischer Kulturvermittler

Benedict Randhartinger (1802–1893) war Sohn eines Schulmeisters im niederösterreichischen Ruprechtshofen, wuchs in geordneten, aber bescheidenen Verhältnissen auf und genoss eine sorgfältige Erziehung, in der Musik eine wichtige Rolle spielte. Aufgrund seiner stimmlichen und musikalischen Begabung wurde er als Hofsängerknabe aufgenommen und traf dabei auch auf den etwas älteren Franz Schubert (1797–1828). Als Sängerknabe sorgte er mit seinem Gesang zur musikalischen Unterhaltung der kaiserlichen Familie bei Gottesdiensten und Festen und erhielt dafür kostenlos eine solide schulische Erziehung sowie unentgeltlichen Unterricht in Kompositionslehre bei Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750–1825). Nach seinem Stimmbruch studierte er – neben seiner musikalischen Weiterbildung – Philosophie und Jurisprudenz, was er mit Malen und Privatstunden finanzierte. Er verkehrte im weit gespannten Freundeskreis Schuberts und war bereits als Komponist und Sänger hervorgetreten, als er 1825 – vielleicht auf Schuberts Empfehlung – für zehn Jahre Privatsekretär des musisch begabten Grafen Lajos von Széchényi de Sávár-Felsővidék (1781–1855), des Obersthofmeisters von Erzherzogin Sophie und älteren Bruders des „größten Ungarn“ Istvan Széchényi (1791–1860) wurde.

Über seinen Dienstherren lernte er zahlreiche einflussreiche Persönlichkeiten des Hofes und des damaligen Musiklebens kennen, wie etwa den ungarischen Komponisten Gábor Mátray-Róthkrepf (1797–1875), der damals als Erzieher gleichfalls zum gräflichen Hofstaat zählte. Gebürtig in Nagykáta, wuchs er in Pest auf, wo er auch fast die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. So wie Randhartinger auch Lieder in älplerischer Mundart vertonte, komponierte auch der vielseitige Mátray ungarische Tänze und ungarischsprachige Lieder, die sich musikalisch an der Wiener Klassik und der Volksmusik orientierten und möglicherweise zu Vorbildern für die ungarische Kunstmusik der 1830er- und 1840er-Jahre wurden. Außerdem leistete er einen der frühesten Beiträge zur ungarischen Operngeschichte. 1837, dem Jahr der Magyarisierung seines Namens, wurde Mátray kurzzeitig Direktor des soeben eröffneten Ungarischen Nationaltheaters, widmete sich aber dann der Organisation der Sammlungen des Széchényi-Nationalmuseums. Zum Pionier der ungarischen Musikforschung wurde er mit seiner Transliterierung alter ungarischer Volklied-Codices und der Herausgabe von ungarischen Volklied-Sammlungen; zudem begründete er auch die erste, 1833 bis 1841 erscheinende ungarische belletristische Zeitschrift Regélő – Honművész.

Die Anstellung bei Graf Széchényi ermöglichte Randhartinger auch Kontakte zu einzelnen Mitgliedern des ungarischen Hochadels, wie einige Widmungen seiner Werke belegen. In dieser Zeit hielt er sich im Sommer immer auf den ungarischen Besitzungen des Grafen, wie etwa auf Schloss Horpács bei Sopron auf, und im Winter in Wien, fand aber neben seinen administrativen Tätigkeiten genug Zeit zum Komponieren und zur Unterstützung des Grafen bei dessen eigenen musikalischen Ambitionen, etwa bei der Hausmusik-Pflege in seinem Salon. In dieser Zeit konnte sich Randhartinger in der Musikwelt einen Namen machen, und zwar aufgrund seiner schönen Tenorstimme, mit der er fremde und eigene Liedkompositionen bei den damals zumeist üblichen Privat- und vor allem bei den hoch angesehenen Hofkonzerten vortrug und damit besonders die Damenwelt begeisterte. Mit Zustimmung seines Gönners und Förderers Széchényi eröffnete sich ihm 1836 eine Karriere im Hofdienst: zunächst als unbesoldeter Tenorsänger und Organist der Hofkapelle und ab 1838 als Dirigent des Hofoperntheaters. 1844 wurde er unbesoldeter Vizehofkapellmeister und bezahlter Tenorsänger und wirkte so bei fast allen musikalischen Hofveranstaltungen, teils auch als Pianist mit. 1846 wurde er besoldeter Vizehofkapellmeister, was ihm ermöglichte, eine Familie zu gründen. In dieser Zeit hielt er etliche hochgelobte Konzerte in Ödenburg, bei denen er eigene sowie auch Lieder anderer Komponisten vortrug, so etwa auch 1840 ein begeistert aufgenommenes Benefizkonzert mit Franz Liszt (1811–1886), seinem ehemaligen Mitschüler bei Salieri, mit dem er schon in Wien gemeinsam aufgetreten war. Er kannte aber auch die – trotz ihres damals für undamenhaft erachteten Instruments – international bekannte ungarische Violoncellistin Róza Szuk (1844–1921), wie die Widmung einer seiner Lenau-Vertonungen belegt. 1862 wurde er zum Hofkapellmeister ernannt, aber vier Jahre später war er bereits in den Ruhestand versetzt. Die restlichen 26 Jahre seines Lebens verbrachte er – unermüdlich weiterkomponierend im Stile der Klassik und Frühromantik sowie inspiriert durch die Neuerungen Schuberts – im Kreise seiner Familie und guten Freunde, musikalisch aber hatte er sich selbst überlebt und den eigenständigen schöpferischen Elan seiner Jugend verloren. Er wurde 91 Jahre alt.

Randhartinger war ein ungemein fruchtbarer Komponist, dessen Werke sich großteils entweder gedruckt oder handschriftlich erhalten haben und heute wieder aufgeführt werden. Er schuf rund 2.217 Kompositionen aller Gattungen, darunter auch über 800 Lieder, Balladen und Chöre, denen oft Texte bekannter, meist zeitgenössischer, durchaus auch  n i c h t-österreichischer Dichter zugrunde lagen, die schon im damaligen grenzüberschreitenden Konzertbetrieb einen vergrößerten Verbreitungsradius erhielten und auch heute wieder erhalten.

Zu den gebürtigen Ungarn unter seinen Textlieferanten zählte etwa Ungarns erster romantischer Dichter Sándor Kisfaludi von Kisfalud (1772–1844) aus Sümeg mit A kesergő szerelem, auf Deutsch in der Übersetzung von Johann Graf Mailáth von Székhely (1786–1855) Unglückliche Liebe. Mailáth, der Historiker, Schriftsteller und große Kulturvermittler zwischen dem ungarisch- und deutschsprachigen Raum, war übrigens der zweite Übersetzer der von Kisfaludi unter dem Pseudonym Himfy herausgegebenen Verssammlung Himfy’ Szerelmei. Von dem in Raab geborenen Tivadar von Bákody (1825-1911) stammt das von Randhartinger vertonte Gedicht Wir drei aus dessen Lyriksammlung Traumbilder (1846). Bákody hatte zunächst Jus studiert, beteiligte sich dann am ungarischen Freiheitskampf, war Adjutant von Artúr Görgey von Görgő und Toproc (1818–1916) gewesen, studierte anschließend in Wien Medizin und wurde 1873 Professor der homöopathischen Pathologie und Therapie an der Pester Universität, wo er sich als experimenteller Forscher und Verfasser polemischer und grundlegender Schriften einen Namen machte. Von dem Pécser Musiker, Musikkritiker und Schriftsteller Sándor Czeke (1828–1891), der um 1870 einige Jahre beim Opernorchester in Pest angestellt gewesen war und danach als Journalist nach Wien zog, wo ihn Randhartinger durchaus getroffen haben mag, vertonte er drei Lieder aus dessen Lyrikband Bilder aus dem Süden (1878). Czeke verfasste Werke über die ungarische Musik und Schauspielkunst, stand als reisender Dirigent in Diensten des Grafen [Elim Pavlovich?] Demidov, 3. Prinz von San Donato (1868–1943) und beschloss sein Leben in Dublin. Den aus Lovasberény gebürtigen und in Mór aufgewachsenen Journalisten, Humoristen und Dichter Moses bzw. Moritz Gottlieb Saphir (1795–1858) kannte Randhartinger von gemeinsamen öffentlichen Auftritten her persönlich. Von ihm vertonte er ein Lied aus der 2. Auflage der Gedichtsammlung Wilde Rosen (1858). Auch dem im siebenbürgischen Csatád geborenen und in Pest und an anderen ungarischen Orten aufgewachsen Nikolaus Nimbsch von Strelenau, der sich Nikolaus Lenau (1802–1850) nannte, war er möglicherweise gleichfalls persönlich begegnet; von ihm setzte er gar elf Gedichte in Musik. Der aus Temesvar stammenden Schauspielerin und Autorin Rosa Racher (1857–1913), die 1878 den Politiker Dr. Ludwig Axamethy heiratete und mit ihm nach Budapest zog, dürfte Randhartinger bei einem ihrer Wien-Aufenthalte begegnet sein, er vertonte nämlich einige ihrer Gedichte, die er vielleicht persönlich von ihr erhalten haben mag, denn ihre gedruckte Gedichtsammlung erschien erst sehr viel später, im Jahre 1907. Von dem aus Ofen stammenden Schriftsteller und Wiener Revolutionär August Karl Silberstein (1827–1900) vertonte Randhartinger, der sich im Vormärz gleichfalls in kritisch-liberalen Kreisen bewegt hatte, gar 14 Gedichte. Nach Niederschlagung der Revolution ergriff Silberstein zunächst die Flucht und wurde nach seiner Rückkehr zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, aber nach zwei Jahren amnestiert.

Es finden sich unter Randhartingers Textlieferanten aber durchaus auch  n i c h t  in Ungarn geborene Personen, die sich jedoch auf unterschiedlichste Weise mit Ungarn verbunden fühlten bzw. sich literarisch mit ungarischen Themen und Motiven beschäftigten und so gleichfalls zu Kulturvermittlern wurden.

Hier sei stellvertretend nur Johann Nepomuk Vogl (1802–1866) genannt, der sich mit Ungarn innerlich verbunden fühlte, weil seine Mutter eine Westungarin gewesen war und dessen Gedichtsammlung Klänge und Lieder aus Ungarn ihm den Beinamen „Dichter der Steppe“ eingetragen hatte. Von ihm vertonte Randhartinger sogar 54 Lieder.

Aber dies ist freilich nur eine kleine, exemplarische Auswahl jener Autoren mit Ungarn-Bezügen, deren Texte Randhartinger in seinen Liedern vertont hatte und die auf diese Weise auch in der heutigen internationalen Musikszene noch verankert sind.

Margarete Wagner