100 Jahre Bilanz

100 Jahre Bilanz

Das Burgenland hat sich von einem armen Grenzland zu einem Vorzeigebundesland entwickelt.

– Unterhaltung mit Hans Peter DOSKOZIL, Landeshauptmann von Burgenland –

100 Jahre Burgenland. Im Rückblick auf die Feierlichkeiten welche Schwerpunkte waren für Sie signifikant, und wie würden Sie werten?

Die Feierlichkeiten zu 100 Jahre Burgenland waren vor allem von einem „Wir-Gedanken“ geprägt. „WIR sind 100“ war das Motto, und das sollte einerseits auf unsere Geschichte anspielen, denn als Grenzregion mussten wir unsere Identität erst finden – und das haben wir gemeinsam mit unseren Volksgruppen geschafft. Andererseits sollte dieses „WIR“ jene Werte, die die Burgenländerinnen und Burgenländer aus meiner Sicht ausmachen, hervorheben. Gemeinschaftssinn und Solidarität gehören da besonders dazu. Unsere Jubiläumsschau auf der Friedensburg Schlaining zeigt den Werdegang unseres Bundeslandes und ist sicherlich ein großes Highlight unseres Jubiläumsjahres. Die Ausstellung ist noch zu sehen und mit ihr auch die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben.

Wie würden Sie von der heutigen Warte aus das Burgenland als Bundesland gesamtösterreichisch „einstufen“?

Wir sind im Österreich-Vergleich das Bundesland mit dem höchsten Wirtschaftswachstum, der höchsten Maturantenquote und Beschäftigungsrekord trotz COVID-19. Wir sind Vorreiter in vielen Bereichen: sei es mit unserer Biowende, beim Thema „Erneuerbare Energie“, in der Pflege oder auch was sozialen Wohnbau betrifft. Das sind nur einige Säulen, die uns zu einem erfolgreichen Bundesland machen, in dem es sich gut und sicher leben lässt. Nicht nur die Einwohner sind sich dessen bewusst, auch immer mehr nationale und internationale Gäste kommen ins Burgenland und genießen unsere Region. Auch touristisch gesehen sind wir also gesamtösterreichisch vergleichsweise gut durch die Krise gekommen, das belegen aktuelle Zahlen.

Was für Stellenwert hat für Sie das Burgenländisch-Pannonische in Bezug auf die Mentalität?

Das Burgenländisch-Pannonische prägt uns, unsere Landschaft, unsere Küche unsere Mentalität. Auf das sind wir auch stolz, denn es trägt enorm zu unserer Identität bei.

Kann man in der Relation zu den Nachbarländern von einer bewältigten Vergangenheit sprechen?

Egal welches Land, wir müssen stets daran arbeiten, die Vergangenheit aufzuarbeiten, auch um das „Jetzt“ einordnen zu können und gut für die Zukunft gerüstet zu sein. Daher sind wir im Burgenland darum bemüht, im Sinne einer würdevollen Erinnerungskultur zu handeln, ich denke das ist ganz wichtig. Erst kürzlich haben wir zwei Synagogen restauriert und wiedereröffnet – als Beispiel.

Wirtschaftlich gesehen ist das Burgenland bei weitem nicht mehr ein Entwicklungsland. Was sind die tragenden Elemente dieser Entwicklung?

Hier gibt es einiges. Besonders hervorzuheben sind die Menschen, die unser Land mit Fleiß und Mut aufgebaut haben. Aber natürlich haben wir von EU-Förderungen profitiert. Wir haben uns auch als Wirtschaftsstandort etablieren können, weil wir die nötige Infrastruktur haben. Wir liegen günstig, das schätzen viele Unternehmen, die sich hier ansiedeln.

Politisch, wirtschaftlich, aber auch kulturell ist das Burgenland ein Grenzland oder eine Übergangsregion zwischen Ost und West? Wie gestalten sich die nachbarlichen Beziehungen?

Sehr gut! Nicht nur das, wir sind bekannt für unsere Solidarität mit anderen Ländern. Dass wir nun auch die Ukraine unterstützen, unschuldig Vertriebenen Sicherheit und eine Zuflucht geben, solange sie diese brauchen, zeugt glaube ich von unserer Position als Übergangsregion zwischen Ost und West und von unseren Beziehungen zu anderen Ländern.

Würden Sie das Burgenland – im Unterschied zu den andren Bundesländern – als eine Region der Vielfalt bezeichnen? Wenn ja, was sind die gestaltenden Kräfte dieser Vielfalt?

Mit Sicherheit sind hier der Umgang mit unseren Volksgruppen und unsere Volksgruppenpolitik Faktoren, ebenso wie die bereits angesprochene offene Mentalität.

Das Burgenland hat durch wechselvolle Schicksale seine eigene Identität gefunden. Als Politiker welche Zielsetzungen verfolgen Sie zur Stärkung der Eigenständigkeit?

An Gemeinschaftssinn fehlt es uns bestimmt nicht, und dort, wo Eigenständigkeit gefragt ist, setzen wir politisch Maßnahmen, um diese zu erreichen. Ein Beispiel ist hier der Bereich der Pflege. Mit unserem Anstellungsmodell für pflegende Angehörige sind wir einen eigenständigen Weg gegangen, der europaweit Anerkennung findet. Eigenständigkeit ist derzeit vor allem im Energiebereich DAS Thema der Zukunft. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine haben wir gesehen, dass wir unabhängig von ausländischem Gas werden müssen. Wir haben im Burgenland bereits vor diesem Krieg auf erneuerbare Energie in Form von Windkraft und Photovoltaik gesetzt, nun beschleunigen wir unsere Maßnahmen, um möglichst rasch energieunabhängig zu werden. Das hilft uns nicht nur auf unserem Weg zur Klimaneutralität bis 2030, es wird auch helfen, die steigenden Energiepreise abzufedern.

In Bezug auf die europäische Integration welche Aufgaben würden Sie Burgenland zugestehen?

Gerade vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges braucht es gesamteuropäische Lösungen – auch was das Thema Integration betrifft. Das Burgenland positioniert sich heute als Vermittler, Ideengeber und als Vorzeigeregion.

Zwischen Assimilation und Integration welche Zukunft würden Sie den Volksgruppen einräumen?

Integration muss selbstverständlich sein. Wir geben den Volksgruppen jenen Raum, den sie brauchen, um ihre kulturelle Identität in angemessenem Rahmen pflegen zu können – ideell, aber auch mit einem konkreten Gebäude. In Oberwart ist im Zuge unserer Feierlichkeiten zu 100 Jahre Burgenland ein „Volksgruppenhaus“ entstanden, das zum gemeinsamen Ort aller im Burgenland vertretenen Volksgruppen werden soll. Ich denke, diese Art der Volksgruppenpolitik spricht für sich.

Ernő Deák