Die Schießerei an der Belgrader Schule und ihre Folge

Die Schießerei an der Belgrader Schule und ihre Folge

Anfang Mai betrat ein Schüler der siebenten Klasse, in wenigen Wochen ein 14-jähriger Bursche, seine Grundschule, zog eine Waffe, erschoss den Sicherheitsbeamten, der die Schüler mit seinem Körper schützte, und tötete dann acht Mitschüler, verletzte sechs weitere. Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer auf zehn gestiegen. Wie sich herausstellte, hatte der Bursche den Anschlag mindestens einen Monat lang geplant und eine Liste der Personen, die er töten wollte, sowie eine Skizze des Schulgrundrisses mit der Lage der Klassenräume angefertigt. Der kindliche Mörder hatte neben dem 9-mm-Gewehr eine weitere Schusswaffe, vier Molotow-Cocktails und drei volle Magazine bei sich, hieß es. Er rief dann selbst die Polizei an und schilderte das Massaker.

Nach der Tragödie tauchten widersprüchliche Informationen auf: In einigen Presseberichten hieß es, der Bub sei von seinen Mitschülern gehänselt worden und er habe sich ausgegrenzt gefühlt, während es in anderen Quellen hieß, der Täter sei in der Schule nicht gemobbt worden, sei ein ausgezeichneter Schüler gewesen, habe keinerlei Anzeichen einer psychischen Störung gezeigt. In mehreren Berichten hieß es, er habe gewusst, dass er nicht strafrechtlich belangt werden konnte, weil er noch nicht 14 Jahre alt war. In den Medien und in sozialen Netzwerken wurde auch berichtet, dass er und sein Vater oft auf Schießstände gingen und dass der Mann mehrere zugelassene Waffen besaß, die er in einem Safe aufbewahrte.

Die Tragödie veranlasste die Regierung, eine dreitägige Staatstrauer auszurufen und kulturelle Veranstaltungen auf Vorschlag der Föderation der Kulturgewerkschaften abzusagen. Der Unterrichtsminister trat zurück, das Innenministerium verkündete eine Aktion zur Abgabe von Waffen – illegale Waffen durften ohne Nachweis ihrer Herkunft ohne Konsequenzen abgeliefert werden – mit anschließenden Razzien. (In Serbien besitzt die Bevölkerung aus der Zeit der südslawischen Kriege schätzungsweise eine dreiviertel Million illegale Waffen, im Durchschnitt 40 Stück (!) je hundert Menschen, obwohl es bereits mehrere Abgabeaktionen gegeben hat.) Bis zum Ende des Schuljahres war jeder Schule ein Polizist zugeteilt. Die Regierung in Belgrad plant, das Mindesalter für die Strafmündigkeit von 14 Jahren auf zwölf zu senken.
In der gesamten Gesellschaft herrschen erhöhte Wachsamkeit und Angst, es gibt eine Reihe von Treffen verschiedener Fachgruppen, die Medien lassen Experten zu Wort kommen, welche die Verantwortung des Landes, der Gesellschaft, der Familie, der Pädagogen betonen. Andere machen Computerspiele oder die in der Jugend beliebten Videoplattformen und das Internet im Allgemeinen oder auch unsere bis zur Raserei beschleunigte Welt, die Auflösung der Wertesysteme, die kochende Weltpolitik verantwortlich. Das Thema steht bei einer Flut von Veranstaltungen auf der Tagesordnung. Inzwischen ist der Verdacht aufgetaucht, dass andere Kinder ähnliche Gewaltakte geplant haben könnten. In Subotica wurde ein Gymnasiast verhaftet, der dem Schulpsychologen gestanden hatte, einen Massenmord beabsichtigt zu haben. Ein Mädchen aus der Gegend von Novi Sad wiederum ließ den Mitschülermörder hochleben und drohte ihren eigenen. In ihrem Zimmer wurden eine illegale Waffe und Munition sichergestellt.

Serbien befindet sich als Folge des Massakers wieder einmal in einer politischen Krise. In mehreren Städten haben friedliche Protestmärsche gegen die überhandnehmende Gewalt stattgefunden, die nicht alle spontan, sondern auch mit Unterstützung der Opposition organisiert waren. Der Vorsitzende der regierenden Serbischen Fortschrittspartei, Präsident Aleksandar Vučić, warf den politischen Gegnern umgehend vor, die Trauer dazu zu nutzen, Gewalt zu säen und die Macht gewaltsam übernehmen zu wollen…

Es ist bestürzend, wozu (auch) das serbische politische Establishment verkommen ist, wie es die Tragödie eines aktuellen Schülermassakers mit zehn Todesopfern, trauernden Eltern und Verwandten missbraucht. Es ist bestürzend, welchen Stil, welche Verleumdungen man sich erlaubt. Es ist bestürzend, dass die Medien dabei Partner sind – sowohl die regimetreuen als auch die sich unabhängig nennenden und die deklariert oppositionellen. Es ist bestürzend, dass die Bemühungen der Regierung zur Entwaafnung der Bevölkerung und zur Gewaltlosigkeit zu einer Komödie verkommen. Es ist bestürzend, dass dies im Serbien des 21. Jahrhunderts (auch) geschehen kann und in Ordnung befunden wird. Und es ist bestürzend, dass sich im Umfeld des noch nicht 14jährigen Buben, der seine Schulkollegen geplanterweise niedermetzelte, kein einziger empathischer Erwachsener fand, der die Tat eventuell hätte verhindern können. Und es ist bestürzend, dass der Bub augenscheinlich nicht allein ist.


Márta Fehér