Nationale Dilemmata in Europa

Nationale Dilemmata in Europa

„Karl Graff bin ich genannt, Ungarn ist mein Vaterland!” Diesen wie ein Verslein klingenden Satz hat mir meine Großmutter beigebracht, als ich noch ein ganz kleines Kind war. Er klingt bis heute in meinen Ohren. Karl Graff, also Graff Károly, einer meiner Vorfahren, war ein stolzer Bürger von Sopron, ein Wirtschaftsbürger oder „poncichter“ Bauernbürger. Seine Muttersprache war deutsch, sein Herz ungarisch. Nichts, aber auch gar nichts löste in ihm Widersprüche aus, dass er deutsch schrieb, sprach, dachte und ungarisch fühlte. Mit völliger Selbstverständlichkeit bekannte er sich als Teil des ungarischen Volkes, als Mitglied der nationalen Gemeinschaft. ein ganz und fühlte sich als ein natürliches Mitglied der ungarischen Nation Teil der ungarischen Volksgemeinschaft, ein Mitglied der Volksgemeinschaft. Er, Karl Graff, empfand das wie viele-viele seiner Schicksalsgenossen.

Ich schreibe all dies, damit eindeutig wird, dass Nation, in unserem Fall die ungarische Nation und die Zugehörigkeit zu ihr nicht einfach eine historische Kategorie ist, die präzise und objektive Darstellung von Prinzipien und Prozessen, sondern ein Gefühl, eine emotionale Bindung, eine natürliche und dennoch freie Verpflichtung.

Über die Rolle der Nationen – Vergangenheit wie Zukunft – wird bei uns viel diskutiert, aber nicht nur bei uns, in ganz Europa, und sogar darüber hinaus.

Apropos Diskussion... ich halte Diskussion für eine gute Sache! Sie bringt uns voran. Nur gibt es einen großen Unterschied zwischen Diskussion und Streit. Das erste, die Diskussion ist der kultivierte Kreuzungspunkt von Ansichten aus verschiedenen Richtungen, nach ihr kann ein gemeinsamer Nenner entstehen und das gemeinsame Weitergehen resultieren. Der Streit hingegen ist ein Zusammenprall von Meinungen aus verschiedenen Richtungen, nach dem alle ihren Weg fortsetzen, ohne sich um die Standpunkte anderer zu kümmern. Daraus entsteht nicht viel Gutes, ganz besonders nicht, wenn wir unsere und die Geschichte anderer europäischer Nationen betrachten. Früher oder später wurde Streit zur Ursache großer Probleme.

Deshalb ist es wert und wichtig, miteinander zu reden und sich zu bemühen, einander zu verstehen, und offensichtlich auch, die anderen zu verstehen, die gemeinsamen Punkte zu suchen und hoffentlich auch zu finden. natürlich, einander zu verstehen, sich gegenseitig zu verstehen, zu suchen und hoffentlich und hoffentlich eine gemeinsame Basis zu finden. Nun, darin sind wir nicht gut heute. Nicht gut in Ungarn, aber nicht nur in Ungarn. Und wenn das so ist – schließlich sehen wir Tag für Tag die unterschiedlichsten Konfliktformen, von der inneren Spaltung über hasserfüllte Äußerungen bis hin zum mörderischen Krieg –, dann ist es wert und eine intellektuelle Verantwortung, darauf aufmerksam zu machen, dass es einen anderen Weg gibt, dass eine andere Lösung möglich ist.

Vor ein paar Jahren, 2017, gedachten wir am 150. Jahrestag des Ausgleiches. Er bekam in der ungarischen Öffentlichkeit keine allzu große Aufmerksamkeit. Deák und seine Kollegen, die den Ausgleich mit Weisheit und Geduld zustande brachten, wussten, was sie riskierten, während niemand die Ergebnisse, die Konsequenzen garantieren konnte. Sie wussten, dass der Kompromiss mit zahlreichen Stolpersteinen ausgelegt ist, aber eine solide Basis für Entwicklung sein kann. Und natürlich waren viele dagegen, weil sie ihn nicht nur nicht als Fortschritt betrachteten, sondern geradewegs als Verrat, dass man sich mit jenen, die unseren Freiheitskampf niedergeschlagen und unsere Generäle hingerichtet hatten, verglich. Dabei ist es ganz offensichtlich, dass Kompromisse nur von unterschiedlich denkenden Seiten geschlossen werden können – unter Gleichgesinnten ist er überflüssig. Heute, im vorherrschenden öffentlichen Diskurs in Ungarn, zählt der Kompromiss als Schwäche.

Das ist der Grund, warum der Deák-Ausgleich nicht in den Vordergrund gerückt wurde. Es war eben ein Kompromiss. Der Kompromiss wiederum bedeutet nach der erwähnten Auffassung Selbstaufgabe, Flucht. Ich sehe das nicht so.

Es ist natürlich und schön, dass wir unterschiedlich über Individuen, Gemeinschaften, Länder, Systeme denken. Es ist richtig, dass in der Politik auch Gemeinschaften und Parteien miteinander konkurrieren, besonders dann, wenn gleicher Zugang gewährleistet ist. Es fällt mir nicht im Traum ein (und ich wäre auch dagegen), dass jemand eine Art erzwungene Einheit ausrufen könnte, um dies zu verwirklichen. Das vorige Jahrhundert hat ausreichend Beispiele dafür geliefert, wohin das führt. Zu einer Serie von Tragödien. Doch die Ablehnung der künstlichen Einheit kann nicht bedeuten, dass wir ins andere Extrem verfallen und unsere Ansicht, ausschließlich diese, für wahr, richtig und heilsbrigend betrachten. Dass es andere Ansichten geben kann, aber wozu? Und oft genug scheint das sichtbar zu sein.

Die eigentliche Frage ist, wie man die Interessen einer Nation vertritt, deren überwiegender Teil, einschließlich des Mutterlandes, Mitglied der Europäischen Union ist, andere außerhalb, aber auf dem Kontinent lebt, ein nicht zu vernachlässigender Prozentsatz aber verstreut in der Welt, von Amerika bis Australien. Damit behaupte ich selbstverständlich auch, dass jeder Mensch, wo immer er oder sie lebt, Teil der ungarischen Nation ist, sofern er/sie sich zum Ungartum bekennt. Die Aufgabe und die Verantwortung, die Interessen dieser Nation zu kennen und zu vertreten, gehört dem Mutterland, Ungarn. Und genau das ist das Wesentliche. Die wesentliche Frage ist die der Beziehung zwischen dem Land und der Union, Gegenwart und Zukunft der ungarischen Nation und der Weg der Europäischen Union.

Wir hören genug über die täglichen Kontroversen, die gerade aktuellen Probleme, Sanktionen und sistierte Geldzahlungen, Restriktionen, die Einstellung von Studenten- und Forschungskooperationen. Die Liste könnte lange fortgesetzt werden. Jedes der Probleme wäre einen eigenen Artikel wert. Doch angesichts all dessen ist es notwendig und wert, das Gesamtbild zu beurteilen. Über den Weg, den gemeinsamen Weg oder über die Kreuzung. Ich verwende dieses Wort – Weg –, damit ein kluger Denker nie wieder über etwas Ähnliches schreiben muss wie Gyula Szekfű: „Irgendwo haben wir uns verirrt“.

Die Europäische Union mit ihrer derzeitigen Politik hat viele Kritiker. In vielen Fragen ist diese Kritik berechtigt und wahr. Die Entscheidungsfindung ist langsam und überbürokratisiert, die Entwicklung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist besorgniserregend, besonders im Vergleich zu anderen großen Regionen der Welt, in erster Linie China und Südostasien. Ich unterstütze nicht die Ansichten derjenigen, die illegale Migration zulassen. Dies sind sehr wichtige Themen.

Aber als Historiker muss ich die Frage stellen: Wann gab es nicht ähnlich wichtige Probleme und quälende Sorgen? Und wann hatte das ungarische Volk, die ungarische Politik welche Haltung zu diesen? Es genügt nicht, am 20. August Stephan den Heiligen und sein Lebenswerk zu feiern, es lohnt sich auch, im Alltag seine Ermahnungen in die Hand zu nehmen. Glaubt jemand im Ernst, dass damals, zur Zeit des Hl. Stephan Europa, genauer gesagt der „Westen“ das ersehnte Paradies war? Nun nein, das war es nicht, im Gegenteil. Unter Berücksichtigung der prosaischen Fakten war der „Osten“ jener Zeit, das Byzantinische Reich, in einer besseren Verfassung. Und doch entschied Stephan so. Zugunsten des Westens. Und dann, nach den Stürmen der Jahrhunderte, im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums, brachte ein Referendum 2004 den Beitritt Ungarns zur Europäischen Union. Es war dorthin zurückgekehrt, wohin es nach seinem Wertesystem, seiner Mentalität gehört. Hie und da taucht heute die Frage auf – nicht an der Oberfläche, nicht aus der ersten Reihe, sondern in der Tiefe –, ob dies das Interesse des Landes und der Nation sei. Es muss rechtzeitig geantwortet werden!

Ja. Kurz und bündig ist das meine Meinung. Mit mehr Dialog, der Vertretung unserer Interessen vertreten, aber innerhalb des Kreises. Die Verknüpfung von Ungartum und Europäertum, die langfristige Aufrechterhaltung dieser institutionellen Verbindung, das ist das grundlegende Interesse der Nation. Dies ist die Grundlage, das Fundament, das Erbe und die richtige Vision.

István Hiller

Original: „Hiller István: Nemzeti dilemmák Európában“