Abschied vom „bunten Vogel“

Abschied vom „bunten Vogel“

Erhard Busek, dem mitteleuropäischen Europäer (1941–2022)

Wer immer ihn in der jüngsten Zeit getroffen hatte, musste unwillkürlich bemerken, dass der einst vor Ideen sprühende, sich niemals schonende, manchmal in Zynismus verfallende Erhard Busek den Zenit seiner Lebensbahn überschritten hatte. Er schied symbolhaft am 13. März 2022., dem Jahrestag des Ausbruchs der Wiener Revolution 1848 aus dem Leben.

Er war ein dynamisch unruhiger Geist, konnte die eingefrorene bürgerliche Ruhe nicht ertragen. Er war ein eingefleischter Wiener, und möglicherweise ergab sich aus dieser Tatsache seine dramatische Einstellung zu den Mitbürgern: Er konnte und wollte kein Lokalpatriot bleiben, entkleidete sich des Provinzialismus, wuchs in Mitteleuropa hinaus und hinein. Damit kommen wir Erhard Buseks Persönlichkeit auch näher. Als Wiener Stadtpolitiker rief er von 1978 bis 1987 das Experiment der „bunten Vögel“ ins Leben, um mit originellen Initiativen das versumpfte politische Leben aufzurühren. Nach kurzem Höhenflug schaltete er sich in die österreichische Politik ein, wo er als Unterrichts-, dann Wissenschaftsminister (1991-1995) und Vizekanzler alles für die Öffnung unternahm, speziell gegenüber den vom Einparteisystem befreiten Ländern des ehemaligen Ostblocks. Busek hatte dort schon zuvor ein verzweigtes Beziehungssystem zu den allmählich entstehenden demokratischen Bewegungen ausgebaut.

Die in Österreich und speziell in Wien lebenden Ungarn haben die Anerkennung als Volksgruppe (1993) dem zähen Kampf Erhard Buseks zu verdanken. Er stellte sich gegen engsichtige Parteipolitiker neben sie, weil er klar erkannte, dass der Weg in die Zukunft nicht aus der nationalistischen Isolation, sondern aus der Integration entsteht. Er bekannte sich dazu, dass die Ungarn in Österreich das Bindeglied zwischen den beiden Völkern sind. Erhard Busek war ein aktiv überzeugter Anhänger der Volksgruppenpolitik auf Grundlage der völligen Gleichberechtigung.

Beim Gedenken helfen zwei Bücher, die er gemeinsam mit Emil Brix geschrieben hat: Projekt Mitteleuropa (1986) und Mitteleuropa revisited: Warum Europas Zukunft in Mitteleuropa entschieden wird (2018) zeigen Erhard Buseks europäisches Format und zugleich seine Mission, die auch als Verlassenschaft zu verstehen ist.

Original: Deák Ernő – Martos Péter Elszállt a „tarka madár” / Erhard Busek, a közép-európai európai (1941–2022)



Fasziniert von Mitteleuropa

Erhard Busek, ehemaliger österreichischer Vizekanzler, Wissenschafts- und Bildungsminister, ehemaliger Vorsitzender der ÖVP, Vorstandsvorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, ist am 13. März gestorben.

Über den am 25. März 1941 in Wien geborenen Politiker verrät schon der Titel der Laudation von Wolfgang Schüssel (ehemaliger österreichischer Kanzler) zu seinem 80. Geburtstag ganz viel: Ein bunter Vogel bleibt auch im Alter bunt.

Dank seiner  Kreativität Busek hat schon anfangs seiner Karriere weit über die autoritäre, ein bisschen altmodische konservative Welt herausragen. Diese Kreativität war eigentlich, weshalb die ungarische politische Öffentlichkeit – besonders die Hauptfiguren der Wende – ihm viel zu danken haben.

Heutzutage würde es man vielleicht als politisches Produkt bezeichnen, in der Mitte der 80er war der Begriff „Mitteleuropa“ aber eher eine politische Invention aus persönlichen Motivationen, der für Busek, der seit 1978 der Vizebürgermeister von Wien war, nicht nur eine Ortsbestimmung bedeutete, sondern der Bewegungsraum der österreichischen Politik – und es blieb so bis zu seinem Tod. Erhard Busek und Emil Brix, der mehrmals Botschafter war und der Leiter der Wiener Diplomatischen Akademie ist, veröffentlichten ein Buch im Jahre 2018. Das Buch ist mittlerweile auch auf Ungarisch erreichbar: Közép-Európa újragondolása: Miért Közép-Európában dől el Európa jövője? (Mitteleuropa revisited: Warum Europas Zukunft in Mitteleuropa entschieden wird) „Revisited“ – so die Autoren. In diesem Fall ist es ganz persönlich zu verstehen, denn sie waren diejenige, die im Rahmen des Projekts Mitteleuropa im Jahre 1986 zuerst aus österreichischer Sicht verfassten, was sie über die Vergangenheit und Gegenwart der Region denken, und was für Möglichkeiten sie nach dem eventuellen Fall des Eisernen Vorhang sehen. Es lohnt sich an das damalige Lebensgefühl im Zusammenhang mit Mitteleuropa zurückzuerinnern, an die intellektuelle Attitüde, die die Intellektuellen aus Ungarn, Slowakei, Tschechen und Polen verknüpfte, manchmal auch einige aus Kroatien, Slowenien, Österreich und sogar aus Italien. Diese Attitüde überschritt Grenzen und politische Systeme, und damals sogar die verschiedenen politischen Meinungen innerhalb der Länder.

Bei uns war das wichtigste Forum des mitteleuropäischen gemeinsamen Denkens vielleicht die Zeitschrift Európai Utas, deren Redakteur Péter Módos war. Busek und Brix besuchten Ungarn mehrmals, ihre ungarische Stimme war der damalige Germanistikstudent, der heutige Besitzer und Redakteur von Inforádió, Márton Módos. Wir alle wussten, dass es im Zusammenhang mit Mitteleuropa nicht nur um kulturelle Zusammengehörigkeit geht. Von der Wende in Ungarn bedeutete selbst die Tatsache, dass das für immer verlorengegangen zu sein scheinende Mitteleuropa wieder Bürgerrecht gewinnen kann, dass es für die Menschen hinter dem Eisernen Vorgang neue Dimensionen des strategisch-politischen Denkens gibt. Wir waren von Optimismus erfüllt, da wir Österreich, das die Mitgliedschaft in der EU damals auch nur noch anstrebte, an unserer Seite hatten.

Gergely Prőhle