Europäische Fragezeichen

Europäische Fragezeichen

Europa ist unsere Zukunft

Vor zwanzig Jahren, 2004, fand die bisher größte Erweiterung der EU statt, bei der zehn neue Länder dem Bündnis beitraten. Als Mitglied der slowakischen Regierung war ich damals für die Verwaltung der europäischen Integration des Landes zuständig, und auf der Titelseite der ungarischsprachigen Tageszeitung Új Szó schrieb ich am 1. Mai 2004: „Geschichte, die verwirklicht wurde“. Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich am Prozess der Wiedervereinigung Europas teilnehmen durfte, nach dem wir uns zuvor so sehr gesehnt hatten.

Seither ist viel Wasser die Flüsse Europas hinuntergeflossen, und wir alle haben die Wahrheit des alten Sprichworts erkannt: Man lernt sich kennen, indem man zusammenlebt. Es wäre eine Selbsttäuschung zu behaupten, dass die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte nur positiv waren, aber es wäre ein noch größerer Fehler zu sagen, dass die EU ein schlechtes Projekt ist. Es gibt zweifellos eine gewisse EU-Müdigkeit, die durch die jüngeren Ereignisse hervorgerufen wurde, aber dies sollte nicht die Wahrheit der Grundthese in Nebel hüllen: Es gibt keine bewertbare Alternative zur europäischen Zusammenarbeit. Wollen die Bürgerinnen und Bürger Europas die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich bewältigen, müssen sie sich bewusst werden, dass sie zur Zusammenarbeit verurteilt sind. Man darf nicht die Idee verwerfen, muss im Gegenteil die Rahmenbedingungen vervollkommnen. Vergessen wir nicht die weise Mahnung von Mór (Maurus) Jókai: Wenn wir messen wollen, wo wir gelandet sind, sollten wir uns ansehen, wo wir gestartet sind.

Ich möchte nicht, dass es populistisch wirkt, aber Tatsache ist, dass die Geschichte Europas vor 1945 eine Geschichte von Blut und Kriegen ist. Insofern ist eindeutig, dass die EU auch ein Projekt der Sicherheitspolitik ist und als solches funktioniert. Wenn wir uns vor Augen führen, wie viele der 8 Milliarden Menschen auf der Welt Not leiden, auf welch niedrigem Niveau sie ihr Leben fristen müssen, dann müssen wir erkennen, dass die EU auch ein starker Sozialraum ist, der funktioniert. Wenn wir uns die Wirtschaftsleistung der starken Regionen der Welt ansehen, sehen wir, dass die EU in diesem Bereich auf globaler Ebene zwar Probleme hat, aber dennoch ein dominierender Faktor ist, also funktioniert. Dasselbe lässt sich über finanzielle Fragen sagen: Der Euro als Währung ist ein Erfolgsprojekt. Ich weiß nicht, wer von unseren geschätzten Lesern in jüngster Zeit Urlaub in, sagen wir, Griechenland gemacht hat. Ich habe die Hin- und Rückreise in den vergangenen vier Jahren zweimal mit dem Auto gemacht und dabei mehr Zeit mit Warten an den Grenzen als auf den Autobahnen verbracht. Dabei ist auch der Balkan Europa, aber nach der Heimkehr habe ich das Schengen-System gesegnet: Es funktioniert, wenn auch hier und da ein wenig hustend. Wenn wir mit offenen Augen durch unsere Länder gehen, können wir Schilder an vielen Gebäuden sehen: Die Investitionen wurden von der EU finanziert. Es geht um Autobahnen, Straßen, Eisenbahnen, Brücken usw., also funktioniert auch das Prinzip Solidarität.

Als ehemaliger Wirtschaftsmanager sehe ich voller Freude, wie viele Arbeitsplätze durch Industrieansiedlungen entstehen, wie ihre Steuern das Funktionieren der Versorgungssysteme in ärmeren Ländern verbessern und wie viel einfacher der Handel in der EU ist: Synergien helfen den Schwächeren, kommen aber auch den höher Entwickelten zugute. Ich könnte noch tagelang die Vorteile der EU aufzählen, die in den vergangenen 70 Jahren schrittweise aufgebaut wurden. An dieser Stelle kann ich auf den guten alten Palacky verweisen: Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie erfinden.

Natürlich möchte ich nicht im entferntesten behaupten, dass die EU perfekt funktioniert. Heutzutage erhebt sich dräuend der Kontrast: Die EU wurde von Staatsmännern geschaffen, wird aber heute von Technokraten geführt. Das scheint mir der Grund zu sein, warum die EU nicht in der Lage ist, auf viele wichtige Herausforderungen mit entsprechendem Tempo zu reagieren.

Klarerweise sind wir ungeduldig, und das ist auch kein Problem, wenn wir unsere internen Spannungen gut bewältigen können. Wir müssen die Tatsache sehen, dass noch nie in der Geschichte ein Bürger aus dem Norden Schwedens mit einem Vertreter von den südlichen Inseln Griechenlands in einem Raum saß, um eine gemeinsame Lösung für Probleme zu finden. Wie viel bedeuten 70 Jahre in der Geschichte? Die Gegensätze zwischen Nationen und Mitgliedstaaten sind auch heute präsent, aber die qualitative Veränderung besteht darin, dass wir die Probleme nicht auf den Schlachtfeldern, sondern an Verhandlungstischen zu lösen versuchen. In dieser Hinsicht funktioniert die EU so, wie die Mitgliedstaaten sie funktionieren lassen. Wir können feststellen, dass auch heute noch die Politik auf Nationalebene dominiert, wobei die Mitgliedsstaaten oft Politiker aus der zweiten oder dritten Reihe nach Brüssel schicken. Das wirkt sich natürlich auf die Qualität der Arbeit aus, ändert aber nichts am Wesentlichen: Alle wichtigen Entscheidungen werden von den Staats- und Regierungschefs getroffen. Dieses Modell sollte nicht abgeschafft, sondern reformiert werden. Natürlich bedeutet dies eine ernsthafte intellektuelle Herausforderung und beansprucht einen korrekteren Dialog mit höherem Siedepunkt. Die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament bieten eine Gelegenheit, solche Programme zu formulieren.

Es zeigt sich, dass ein Großteil der heutigen Probleme darauf zurückzuführen ist, dass der interne Mechanismus der EU für zehn bis zwölf Mitgliedsstaaten konzipiert wurde, denn die Realität hat ihn plattgedrückt. Persönlich bin ich der Meinung, dass wir den Mantel in diesem Bereich neu knöpfen müssen: Wir sollten die globalen Herausforderungen definieren, auf die die europäischen Länder einheitliche Antworten geben müssen. Auf diesen Gebieten gehört das Organisationsmodell gestärkt werden. Es gibt jedoch eine Reihe von Bereichen, in denen sich die EU überorganisiert hat und dadurch bürokratischer und komplexer geworden ist: In diesen Bereichen sollte das Subsidiaritätsprinzip wieder eingeführt werden.

Ich weiß, dass die britische Politik schon immer ihre eigene Denkweise hatte, aber sie hat jetzt gezeigt, dass die Lösung nicht der Brexit ist, sondern interne Reformen.

Und eine Warnung an die Zweifler: In der Geschichte laufen Prozesse entweder vor- oder rückwärts. Die EU und ihre Vorteile sind kein ewiges göttliches Geschenk, sondern eine menschliche Schöpfung: ein von unserem besseren Ich geschaffener Wert, mit dem nicht hasardiert werden darf. Auf der Entwicklungskurve kann man auch zurückrutschen, und das ist für niemanden wünschenswert.

Pál Csáky

Original: Csáky Pál: „Európai kérdőjelek – Európa a jövőnk“