Mirabell und die „gebremste“ Pleitewelle

Mirabell und die „gebremste“ Pleitewelle

Der 30. November 2021 wird wohl als Trauertag in die österreichische Wirtschaftsgeschichte eingehen. Zwar wurden nur 16 Insolvenzverfahren eröffnet, darunter zu zwei Mostviertler Traditionsfirmen, der Druckerei Queiser in Amstetten und dem Maschinenbauer Seisenbacher in Ybbsitz. Aber die dritte Pleite betraf ein Unternehmen, das als Inbegriff österreichischer Markenqualität gilt: Die Mozartkugel hat den pandemiebedingten Umsatzrückgang nicht unbeschadet überlebt. Am 30. November ist das Konkursverfahren am Landesgericht Salzburg eröffnet worden. Trotz neuer Exportkunden und Corona-Hilfen habe man die Verluste im neuen Geschäftsjahr nur teilweise kompensieren können, teilte der Alpenländische Kreditorenverband (AKV) mit.

Die Mozartkugel hat mit dem Musikgenie ungefähr so viel zu tun wie Wien mit dem Schnitzel: Beide waren unschuldig an der Namensgebung. Der Ursprung der Mozart-Kugel geht auf den Salzburger Konditor-Meister Paul Fürst zurück. „Er kreierte etwa 100 Jahre nach dem Wirken des begnadeten Komponisten W. A. Mozart in Salzburg zu seinen Ehren das erste Mozart-Bonbon“, ist auf der Website der kugelförmigen Süßigkeit zu lesen. Fürst formte kleine Kugeln aus Marzipan, rollte sie in Haselnuss-Nougat-Creme, steckte sie auf kleine Holzstäbchen und tauchte sie in warme Edel-Schokolade, bis sie gleichmäßig mit einer Schokoladenschicht umhüllt waren.“ In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts startete die Süßwarenfabrik Rajsigl in Grödig südlich der Stadt Salzburg die Produktion der Mirabell Mozartkugeln. Die Firma Mirabell, nach dem Schloss der Mozart-Stadt benannt, entwickelte sich erst nach dem zweiten Weltkrieg aus einem Filialbetrieb der Firma Rajsigl. In den 60er Jahren wurde das händische Herstellungsverfahren industriell weiterentwickelt und neu patentiert. Nicht viel später übernahm Suchard die Firma und registrierte 1976 die Marke Mirabell.

Die Mozartkugel ist das vielleicht berühmteste, aber bei weitem nicht einzige Opfer der Pandemie. Die Statistik Austria zählte im dritten Quartal des zu Ende gehenden Jahres 754 Insolvenzen, um fast ein Viertel mehr als im Vergleichszeitraum 2020. Allerdings widerspiegeln die Zahlen nicht die aktuelle wirtschaftliche Situation, sonst hätte es im Vorjahr mit „nur“ 2993 Fällen nicht um 38,8 Prozent weniger Insolvenzen gegeben als 2019. Das Auf und Ab der Pleitenfälle hat laut Statistik Austria „zu einem wesentlichen Teil ihren Ursprung in der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen der derzeitigen Corona-Pandemie“. Die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung war nämlich von März 2020 bis Juni 2021 ausgesetzt.

Entsprechend „schief“ fiel denn auch die Analyse des ersten Halbjahrs aus. Laut Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) sank die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auf 1059, immerhin um 45 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2020, als es 1928 Pleiten gab. Das bedeutete zugleich den niedrigsten Wert seit mehr als 40 Jahren. Gleichzeitig gingen laut KSV1870 die geschätzten Verbindlichkeiten überproportional stark, nämlich um rund 78 Prozent zurück, von 1,74 Milliarden auf 392 Millionen Euro. Mit 3600 waren um zwei Drittel weniger Dienstnehmer von Pleiten betroffen, und es müssen sich „nur“ 8500 Gläubiger mit der Insolvenz eines Geschäftspartners auseinandersetzen – fast 70 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2020.

Verantwortlich für die positiv klingende Statistik sind laut MMag. Karl-Heinz Götze, MBA, Leiter KSV1870 Insolvenz, die künstlichen Eingriffe der Bundesregierung, „dank der sich zahlreiche Unternehmen in einer trügerischen Sicherheit wähnen“. Als „Preis“ für den Rückgang der Insolvenzzahlen vergrößere sich nämlich der Schuldenberg der Betriebe fortlaufend.

Wie es mit der Mirabell weitergeht, ist mehr als unklar. Das Grödiger Unternehmen ist die Österreich-Niederlassung des US-Konzerns Mondelez International (ehemals Kraft Foods), der unter anderem die Marken Cadbury, Lu, Milka, Mikado, Oreo, Suchard, Toblerone und Tuc besitzt. Die Hoffnung, dass die Konzernchefs in Deerfield im US-Bundesstaat Illinois ausgerechnet die Mozartkugel erhalten wollen, könnte sich also als trügerisch erweisen.

P. M.