Moritz Gans von Lúdassys enge Verbundenheit mit Ungarn

Moritz Gans von Lúdassys enge Verbundenheit mit Ungarn

     Der in Ungarn gebürtige Schriftsteller und später führende Journalist des Nachmärz, Moritz Gans von Lúdassys (Lúdasi) (1829-1885), war Sohn jüdischer Eltern, studierte in Pest und unterrichtete in einem Mädcheninstitut. 1848 war er als erst Neunzehnjähriger an der ungarischen Revolution beteiligt, indem er die Abendblätter Esti lapok redigierte und 1849 eine deutsche Broschüre über die kriegerischen Vorgänge in Ungarn herausgab. Nach Niederschlagung der Freiheitsbewegung lebte er als Tanzmeister verborgen in einem mährischen Dorf und schrieb nach und nach Übersetzungen aus dem Ungarischen (Mihály Vörösmarty, Sándor Petőfi), Englischen (Harriet Beecher Stowe, Tobias Smollett, Henry Fielding, William Gilmore Simms) und Französischen (Frédéric Soulié). Nach seiner Amnestierung ging er nach Wien, gründete das täglich erscheinende Journal Wiener Telegraph, wurde 1853 Chefredakteur der Morgen-Post, verfasste nebenbei drei vielgelesene Schauerromane und historische Sittengemälde, die allesamt in Ungarn spielen, gründete und redigierte zusammen mit Sigmund Schlesinger (1832–1918) das Wiener Familienblatt Der Feierabend und verfasste mit ihm gemeinsam auch die im Theater an der Wien aufgeführte Posse Nach der Stadterweiterung (1858). 1858 übernahm er die Leitung der Tageszeitung Der Fortschritt, 1860 wurde er Korrespondent des Pester politischen Blattes Sürgöny und des Pester Lloyd und nahm als Vertrauter des ungarischen liberalen Politikers Ferenc Deák (1802–1876), mit dem er 1864 die Tageszeitung Die Debatte in Wien und Magyar világ in Pest gründete, an den Verhandlungen des österreichisch-ungarischen Ausgleichs teil, wovon sein aufsehenerregendes Buch Drei Jahre Verfassungsstreit (1865) zeugt. 1868 war er während der Regierung von Gyula Graf Andrássy (1823–1890) ungarischer Pressechef, redigierte zwischen 1869 und 1878 im Auftrage von Friedrich Freiherrn von Beust (1809–1886) und Andrássy die als Tagespresse weitergeführte Debatte in Wien und war zuletzt im Pressebüro des Auswärtigen Amtes tätig. 1867 wurde er aufgrund seiner Verdienste für die staatsrechtliche Fortbildung der Monarchie in den erblichen Adelsstand erhoben, aus seiner Ehe mit Laura Frisch stammte der gleichfalls journalistisch und schriftstellerisch tätige Sohn Julius (1858–1922).

     Beeinflusst von Frédéric Souliés und Eugène Sues radikalen, das Sensationsbedürfnis befriedigenden Feuilletonromanen sowie dem pikanten französischen Sittenroman, erfreuten sich auch seine drei umfangreichen Unterhaltungsromane aufgrund ihrer schwülstigen Beschreibungen düsterer Verbrechen und erotisch-schlüpfriger Situationen großer Beliebtheit. Der vierbändige Verbrechens- und Familienroman aus der Zeit Maria Theresias Der Hexe Töchterlein wurde 1854 und 1858 (unter dem Titel Die Tochter der Karpathen-Hexe) aufgelegt. In ihm verführt und schwängert der frivole und ehebrecherische Graf Arthur von Erzfaly die unschuldige deutsche Kaufmannstochter Therese, und zwar auf Geheiß ihrer verbrecherischen italienischen Stiefmutter. Allerdings ist der Graf weniger ein Täter, sondern – wiewohl ein Kriegsheld – so doch mehr ein Charakterschwächling und höriger Liebessklave von Thereses Stiefmutter. Ungeplant verliebt sich aber der Verführer in sein junges Opfer und dieses sich – wenig #metoo-konform – auch in ihn. Aber erst am Ende des Romans, wenn der Graf endlich Witwer geworden und zu haben ist, darf geheiratet werden. Allerdings ist Therese in der Zwischenzeit zur geheimnisvollen ‚Tochter der Karpathen-Hexe’, also zu einer weisen Frau mutiert und Mutter einer bereits heiratsfähigen Tochter. Das Motiv der ‚ungarischen Hexe‘ enträtselt sich letztlich als ungemein positiv gezeichnete Frau aus dem einfachen Volke, die letztlich mit ihrem Wissen und ihrer kräuterbasierten Heilkunst eigenverantwortlich zum Wohle der Gesellschaft beiträgt, wie etwa auch die alte Schacht-Hexe in Gans-Ludassys gleichfalls 1854 erschienenem vierbändigem Roman Elisabeth Bathory (Die Geheimnisse der Schachtizburg). Hier nähert sich Gans-Ludassy über eine üppig mit Schauer- und Ritterromantik garnierte, langatmige Vorgeschichte der eigentlichen, Elisabeth Báthory zugeschriebenen Mordgeschichte an, wobei die gesamte Romanhandlung vor einen düsteren, grausamen, kriegerischen und rechtlosen historischen Hintergrund gestellt wird, um eine Zeit der Rechtsunsicherheit und des sittlichen Verfalls in einem politisch zerrissenen und von einem opportunistischen Adel geschwächten Ungarn zu schildern. Die früh verwaiste, sehr junge Elisabeth steht unter der Obhut ihrer moralisch verkommenen Tante Klara, die in den unterirdischen Gewölben ihres von den Türken bedrohten Schlosses an der Waag ein blutrünstiges Terrorregiment führt, indem sie ungehemmt ihren Grausamkeits- und Rachegelüsten frönt. Die frühreife Elisabeth, eine gazellenhaft dunkle Schönheit, ist gewohnt, sich über sämtliche Beschränkungen bedenkenlos hinwegzusetzen. Sie verführt Feri Patak, einen aus alter, edler, aber verarmter Familie stammenden Ungarnjüngling, obwohl dieser bereits seiner frommen und tugendsamen Ziehschwester Katicza versprochen ist. Trotz seiner moralischen Skrupel gehen beide ein heimliches Liebesverhältnis ein, das aber von Elisabeths edlem und sittenstrengem Cousin Gergely, der – mit Hilfe der alten Schacht-Hexe – auch dem wüsten Treiben auf Tante Klaras Schloss Einhalt gebietet, beendet wird. Während Elisabeth ihre diesem unstandesgemäßen und unehrenhaften Verhältnis entstammende Tochter zu armen Leuten in Pflege gibt, entsinnt sich Feri unter Gergelys positivem Einfluss seiner moralischen Verpflichtung seiner Verlobten Katicza gegenüber und weist Elisabeths neuerlichen Verführungsversuch zurück, woraufhin diese Rache schwört. Elisabeth stürzt sich – unter brüderlicher Obhut – in Preßburg in allerlei gesellschaftliche Lustbarkeiten und lässt verstärkt ihre rücksichtslosen und forcierten Verführungskünste spielen, um den Mann mit dem größten Machtanspruch für sich zu erobern: Sie geht eine reine Zweckehe mit Franz Nadasi, dem reichsten Magnaten des Landes ein, genießt aber in ihrer maßlosen Eitelkeit weiterhin die Schmeicheleien zahlreicher Verehrer. Nach dem Tod des Bruders und des Gatten, die sie beide beerbt, richtet sich – aufgrund ihres in Preßburg ruchbar werdenden frivolen Lebenswandels – der Volkszorn gegen sie: Ihr Stadtpalais wird in Brand gesteckt und Elisabeth zieht sich auf die Schachtizburg Csejtevar zurück, wo sie – im Glauben, dem Geheimnis ewiger Jugend und Schönheit auf der Spur zu sein – mit ihren drei Helfeshelfern eine perfekt funktionierende Mordmaschinerie entwickelt, indem sie ihren schönen Leib in immer frischem Herzblut junger, unschuldiger Mädchen badet. Ausgerechnet Janos, Elisabeths Mordgeselle, verliebt sich in Feris verschwundene Braut Katicza. Dieses blonde und sanfte Gegenstück zur leidenschaftlichen und rassigen Schönheit Elisabeths wird nun zur heimlichen Gegenspielerin der rücksichtslosen und sexuell aggressiven Magnatin. Nur knapp, im letzten Augenblick, erfährt die völlig entmenschte Elisabeth, dass sie eben im Begriffe stand, im Blute des eigenen Kindes zu baden: Sie lässt sich nämlich in grausamer Wollust die Lebensgeschichte ihres Opfers erzählen und erfährt, dass die schöne Gyöngyike nicht nur ihr Kind, sondern zudem auch die Verlobte ihres verhassten Cousins Gergely ist. In seiner Jugend hatte Gergely sie geliebt, hatte aber aus machtpolitischen und familiären Rücksichten verzichten müssen. Seither verfolgt sie ihn mit ihrem Hass und will sich an ihm rächen, wie sie übrigens jeden hasst und mit ihrer Rachsucht verfolgt, der ihre Wünsche durchkreuzt oder ihr widerspricht. Schließlich gelingt es Katicza, Elisabeth das Handwerk zu legen: Sie spiegelt dem in sie verliebten Mordgehilfen Janos Gegenliebe vor und kann so Gergelys Verlobte aus ihrer Gefangenschaft befreien. Natürlich wird ihre Tugend am Ende belohnt, und Katicza kann schließlich doch noch ihren reumütigen Feri und Gyöngyke ihren Gergely heiraten. Elisabeth dagegen wird zur Strafe auf Schloss Csejtevar eingemauert und muss elendiglich verhungern.

     Auch der schwülstige und die Sinne aufstachelnde dreibändige Sittenroman Die Rache der Todten. Sittengemälde aus dem Pester- und Wienerleben aus dem Jahre 1865 handelt – unter dem Deckmäntelchen der moralischen Entrüstung – bevorzugt von ungarischen Grafen in ihrer Paraderolle als sittenlose Jungfrauenverführer. Der alternde Roué Graf Kelmey Gabor entführt die sittenstrenge Emilie Rosinger, setzt sie unter Drogen und missbraucht sie. Als sich herausstellt, dass Kelmey der Ziehvater ihres Verlobten Viktor ist, erschießt sie ihren Verführer, worauf der Sterbende Gelegenheit erhält, die Großmut eines reichen ungarischen Edelmannes glänzend unter Beweis zu stellen, indem er in später Reue Emilie als Universalerbin einsetzt und ihren Mordanschlag vertuscht. Trotzdem darf Emilie Viktor nicht heiraten, weil er – wie sich nun herausstellt – ihr Bruder ist und vor ihrer Verlobung die unschuldige Rosa verführte, weswegen ihn nun der Fluch von Rosas verstorbener Mutter, also die ‚Rache der Toten’ trifft.

Margarete Wagner